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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Doch der beobachtete weiter besorgt die Unbekannten. Aus gutem Grund – der Lange hielt eine Jagdflinte in der Hand, und der Bierbauch schwang gekonnt eine Art Machete, er versuchte nicht einmal, sie zu verbergen. Nur der Junge trug nichts, hielt die Hände jedoch in den Taschen versteckt, und was er dort verbarg, konnte man sich ausmalen. Der Abstand zwischen uns verringerte sich. Plötzlich spannte der Lange sein Gewehr, hob es in die Luft und ballerte eine Salve in den Himmel. Danach breitete er die Arme aus und trat näher. Die aufsteigende Sonne flammte hinter seinem Rücken. Der Oktober war trocken wie Schießpulver.
    Er stoppte, senkte die Arme und rief dem Priester fröhlich zu:
    – Vater?!
    Der Priester machte ein ernstes Gesicht.
    – Tolik, – sagte der Lange und stürzte sich auf den Priester, um ihn zu umarmen.
    Der Priester ertrug die Umarmung geduldig, wonach sich der Mailand-Fan daranmachte, mich zu umarmen.
    – Tolik, – stieß er ebenso kurz aus und drückte mich in freundschaftlicher Umarmung.
    – Hermann, – antwortete ich, während ich mich befreite.
    – Hermann? – fragte der Mailand-Fan zurück. – Juriks Bruder?
    – Ja.
    Der Kerl lachte erfreut. Dann erinnerte er sich seiner Begleiter und machte uns bekannt.
    – Das ist Goscha, – zeigte er auf den Bierbauch. – Er hat uns die Abkürzung gezeigt. Wie die Pflanzer waren wir unterwegs, – Tolik zeigte auf die Machete, – mussten uns den Weg freischlagen. Und das hier ist Sirjoscha, Goschas Sohn. Geht in die Fachschule, wird Ingenieur. Vielleicht.
    Sirjoscha winkte uns zu, ohne die Kopfhörer abzunehmen. Goscha schüttelte dem Priester lange und herzlich die Hand.
    – Wir haben absichtlich den direkten Weg genommen, – erklärte Tolik dem Priester. – Um euch abzufangen. Hier sollte man besser von der Straße runter, sonst trifft man vielleicht auf Bauern. Und mit denen sind wir im Krieg.
    – Worum führt ihr denn Krieg? – fragte ich.
    – Was heißt hier – worum? – wunderte sich Tolik. – Um Einflusszonen. Ehrlich gesagt dringen wir auf ihr Territorium vor, müssen schießlich irgendwo die Ware verstecken, – erklärte er, als ob er sich rechtfertigen wollte. – Also lassen wir alles in ihren Feldern liegen. Kapitalismus halt. Dort drüben warten sie auf uns, – Tolik deutete mit dem Kopf irgendwo zur Seite.
    Erst jetzt fiel mir auf, dass sein rechtes Auge aus Glas war. Vielleicht wirkte sein Blick deswegen so geheimnisvoll. Tolik lachte wieder, er war offensichtlich ein lustiger Kerl, der alles auf die leichte Schulter nahm und sich wegen irgendwelcher kriegerischen Auseinandersetzungen keinen Kopf machte.
    – Also, – schielte er auf den Bierbauch, – anrufen und auf geht’s.
    Der Bierbauch drückte mir sein geheiligtes Messer in die Hand und griff in die Taschen seiner Hose. Sie schienen bodenlos zu sein. Er kramte unglaubliche Sachen daraus hervor und gab sie Tolik und mir zum Halten. Mir zwei rote Herbstäpfel, Tolik eine Handvoll Zündkerzen. Dann zog er eine mit Nagellack lackierte Handgranate heraus, die er ebenfalls mir in die Hand drückte. Aus der anderen Tasche holte er ein paar alte ausgeleierte Tonbandkassetten und reichte sie Tolik. Der blitzte fröhlich mit dem Glasauge. Schließlich fischte der Bierbauch irgendwo aus der Kniegegend ein altes Sony Ericsson mit kurzer Antenne, trat zur Seite, zog die Antenne aus und schaltete das Handy ein. Quälte sich eine Weile und wandte sich dann uns wieder zu.
    – Kein Empfang! – sagte er verzweifelt. – Wir müssen auf den Hügel.
    – Hier ist ein Loch, – erklärte Tolik. – Wir müssen auf den Hügel, – echote er. – Aber am besten auf Umwegen. Es ist nicht weit.
    Goscha sammelte sein Spielzeug ein, schob alles in die Hosentaschen, wischte die Granate mit dem Ärmel sauber und versenkte sie ebenfalls in der Tasche. Nahm die Machete wieder an sich. Alle drei schienen auf etwas zu warten.
    – Also, – das Glasauge hielt es nicht mehr aus, – fahren wir?
    – Und womit wollen Sie fahren? – fragte der Priester verständnislos.
    – Na womit wohl? – lachte Tolik. – Wir fahren mit euch. Ist ja genug Platz.
     
    Sjewa, unser Fahrer, der im Auto geblieben war und uns durch die Sonnenbrille beobachtet hatte, nahm nun die Brille ab und schaute verwundert zu, wie wir uns alle in den alten weißen Wolga zwängten, dem man beim Rosten zusehen konnte. Der Priester setzte sich nach vorne zu Sjewa. Der Einäugige drängte sich neben ihn, schob den

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