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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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hinter sich. Ich stieß sie zur Seite und trat in den Nebel. Sah aber gar nichts. Vom Schleudersitz ging die Ziegelwand des Kassenhäuschens ab, hinten sah man durch die Nebelfetzen Bäume und ein Stück vom Bauwagen.
    – Hörst du mich? – Ich drehte mich zu Katja um. – Wo ist sie? Zeig es mir!
    – Na da, – schrie Katja außer sich und zeigte mit dem Finger nach oben.
    Ich sah mich um. Über meinem Kopf, in den Nebelschwaden, hing Pachmutowa am Mast. Von unten glich sie einer zum Staatsfeiertag gehissten Flagge. Ich trat an den Mast und begann, den Eisendraht abzuwickeln. Der Draht war fest und sorgfältig zugedreht, ich schnitt mir die Finger am nassen Metall, schließlich aber gelang es mir, den Knoten zu lockern. Vorsichtig ließ ich den Hund auf die Erde herab und beugte mich über ihn. Katja stand hinter mir und winselte verängstigt. Ich löste die Schlinge. Der Eisendraht hatte sich in den Hundehals gegraben, blutige Fellklumpen hingen am Metall. Ich befreite Pachmutowas Hals und legte sie vorsichtig auf den Asphalt. Katja konnte sich nicht entschließen, näher zu kommen, rührte sich nicht vom Fleck und betrachtete entsetzt die tote Hündin.
    – Wie hast du sie gefunden?
    – Sie ist schon gestern Abend weggelaufen, – antwortete Katja. – Ich habe sie die ganze Nacht gesucht. Bin ein paar Mal zur Landstraße gegangen. Dann wollte ich noch mal hier nachschauen, sie ist oft hierhergerannt. Ich kam also her, und sie war nicht da. Also entschied ich mich zu warten. Hab mich auf das Ding hier gesetzt, – sie zeigte auf den Schleudersitz. – Im Nebel war nichts zu sehen. Dann bin ich eingeschlafen. Als ich die Augen öffnete, sah ich sie. Zuerst hielt ich es für einen Traum.
    Sie fing wieder an zu weinen. Ich umarmte sie, dabei spürte ich, dass sie unter dem Regenmantel ganz nass war, ich versuchte sie zu beruhigen, sie jedoch wollte nichts hören, weinte nur und winselte, vergoss bittere Tränen und drückte sich fest an meine Schulter.
    – Lass sie uns wegtragen, – sagte ich schließlich. – Wir müssen sie begraben.
    Gehorsam trat Katja ein paar Schritte zurück, zog den Rotz hoch und wartete, bis ich den Hund auf die Arme genommen hatte. Pachmutowa war gar nicht so schwer, schließlich hatte sie schon etliche Jahre auf dem Buckel, und das Alter hatte offenbar alles überflüssige Gewicht aus ihr herausgesaugt. Ich trug sie vorsichtig zum Bauwagen. Katja folgte mir wortlos. Ich umrundete den Bauwagen, folgte dem Pfad dorthin, wo das Gras besonders frisch und dicht stand, und ließ Pachmutowa zu Boden gleiten. Im frischen Gras sah der Hund fast glücklich aus. Katja weinte immer noch. Ich umarmte sie wieder und führte sie zum Bauwagen. Öffnete die Tür, trat als Erster ein, Katja folgte, ich setzte sie auf das Sofa und machte Tee.
     
    Der Tee war stark und süß, er erhitzte ihr die Kehle und vernebelte den Blick, brannte in Herz und Speiseröhre, wovon Katja noch bitterlicher weinte und mir, nachdem sie die Tasse auf den Boden gestellt hatte, die Arme um den Hals schlang, um mich zu küssen. Der Regenmantel behinderte ihre Bewegungen. Sie wirkte darin lächerlich und ungelenk, gemeinsam streiften wir ihn ihr vom Körper, dabei machte sie eine unvorsichtige Bewegung und der Tee ergoss sich auf den Fußboden, schwer dampfend und einen intensiven Pfefferminzgeruch verströmend. Langsam und beharrlich streifte ich ihr die Kleider ab, sie trug verschiedenfarbige Socken, hatte es wohl eilig gehabt, als sie aufstand, um ihren Hund zu suchen, der jetzt vielleicht ebenfalls auf der gelben Backsteinstraße wandelte, hinter Jesus und Tante Mascha her. Erst streifte ich meine Kleider ab, dann, als sie sich mir wieder an den Hals warf, versuchte ich lange, sie von mir zu lösen. Als sie mich schließlich losließ, trug sie plötzlich einen ganz ernsthaften Gesichtsausdruck, sie hatte Gefallen an der neuen Beschäftigung gefunden, führte alles gleichmäßig und wie erlernt, jedoch nicht sehr sorgfältig aus, wie ein Schulmädchen, das seine Hausaufgaben macht, dem aber weniger das Fach, sondern der Lehrer gefällt. Auf ihrer Wade hatte sie ein gemaltes Tattoo, komisch, dass ich es vorher nicht bemerkt hatte, der Regen hatte es fast abgewaschen. Sie drehte mich auf den Rücken, hüpfte gedankenlos und brachte das Sofa zum Schaukeln, wodurch sie Gerüche von Staub und Liebe aufwirbelte. Immer wieder erinnerte sie sich an das, was geschehen war, dann fiel sie mir auf die Brust und weinte, aber sie weinte

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