Die Erfindung des Jazz im Donbass
Hand über mein Bein. Ich schaute sie an, das heißt Tamara, die aber drehte sich weg und sah irgendwohin aus dem Fenster, als wäre sie gar nicht da, als führe nicht sie hier mit uns, als bewege sich nicht ihre Hand so zielstrebig aufwärts, wo sie Knöpfe und Gürtel spielend überwand und mir unters T-Shirt kroch, als verbrennten nicht ihre Ringe mir den Bauch mit Kälte und Gefahr und als berührten mich nicht ihre scharfen langen Fingernägel vielversprechend und furchteinflößend. Ich erstarrte, aber der Priester schlummerte friedlich auf dem Vordersitz, und Sjewa hatte uns wohl komplett vergessen. Tamara aber hatte offensichtlich überhaupt nichts vergessen, erinnerte sich an alles, umfasste mich und bewegte sich langsam, aber stetig, ohne Verschnaufpause, sie hielt mich fest in ihrer Hand, als fürchte sie, ich könne mich losreißen und fliehen. Ich spürte sie atmen, wie ihre Hand vor Erschöpfung oder vor Anspannung zitterte, aber weitermachte, diese mechanische Arbeit nicht einstellte, sondern ihre ganze Kraft und Zärtlichkeit hineinlegte. Sie sah mich nicht an, starrte auf irgendetwas in der Dunkelheit, sah etwas, war einerseits bei mir, gleichzeitig aber weit weg, so dass ich sie nicht erreichen konnte, ihr nicht sagen konnte, dass sie keinesfalls aufhören, keinesfalls den Rhythmus ändern dürfe, nur nicht jetzt, wollte ich sagen, halt noch ein bisschen durch, dann kannst du ausruhen. Jedes Mal, wenn ich sie darum bitten wollte, erstarrte sie wie absichtlich, schöpfte Atem, entließ die heiße Luft aus ihren Lungen, und die paar Sekunden genügten, dass auch ich mich wieder beruhigte, und dann fing alles von vorn an, musste neu begonnen werden, die ganze erschöpfende Liebesarbeit. Die Ringe an ihren Fingern erhitzten sich, sie stöhnte kaum hörbar auf, drehte sich plötzlich zu mir um und schaute mich mit einem tiefen, tiefen Blick an, diesmal würde sie nicht aufhören, es wird so oder so zu Ende gebracht, denn wie lange kann man das aushalten und sich zähmen, es muss zum Ende kommen, sonst sterbe ich vor Erschöpfung und Lust. Und einen Moment vor der Vollendung, als sie spürte, dass sie ihr Ziel erreicht hatte, legte sie ihre Hand schützend über mich, damit niemand etwas merkte. Danach fuhr sie mir süß und leicht mit der nassen Hand über den Bauch, atmete zart und drehte sich wieder zum Fenster, hinter dem Sterne vom Himmel fielen und den trockenen Mais erhellten.
3
Links zeigten sich dunkel die Eingeweide des Eisenbahndepots, angefüllt mit Schwärze wie mit Erdöl. Die Straßenlampen durchbrachen die Finsternis, sie füllten die Luft mit Funken, die sprühten und in Fenstern und Metallgegenständen glitzerten. Rechts zogen sich Reservegleise, verworrene Sackgleise mit Gras, gelb vor Öl, und Schienen, schwarz vor Qualm. Dahinter fing der Privatsektor an, das Banditenviertel, das Suff-Territorium, laute Musik kam von dort, unterbrochen vom Bellen der Hunde und Pfeifen der Lokomotiven. Ein Güterzug, beladen mit Donbass-Kohle, rollte Richtung Norden. In der Luft ein Geruch von Regen und nassem Stein, ich ging, das Industriegebiet hinter mir lassend, die Gleise entlang auf die Bahnhofslichter zu.
Der Versehrte saß in seinem Auto auf dem Bahnhofsplatz, den Kopf zurückgelehnt, und schlief friedlich. Ich sprang hinter den Bäumen hervor in den Wagen. Schura erwachte und musterte mich aufmerksam.
– Was hast du denn da an? – fragte er.
– Einen Anzug, – antwortete ich. – Von Kotscha.
– Zieh dich um, – empfahl mir der Versehrte. – Ich habe dir was mitgebracht. – Er zeigte auf den Rücksitz. – Hier ist der Pass, hier die Knete. In einer Stunde kommt der Zug nach Donezk. Fahr dritter Klasse, dort sind mehr Leute.
– Und wohin soll ich fahren?
– Keine Ahnung, – sagte der Versehrte. – Das heißt, fahr bis zur Endstation. In Donezk gehst du zu meinem Bruder, sag ihm, du willst einen Wagen kaufen. Bleib bis zum Wochenende dort.
– Schura, warum soll ich mich verstecken?
– Weißt du, was die von dir wollen?
– Nein.
– Ich auch nicht.
– Und wo ist Olga? Vielleicht weiß sie etwas?
– Sie weiß gar nichts, – sagte der Versehrte. – Ich habe sie gefragt.
– Vielleicht könnten wir Kotschas Verwandten Bescheid sagen?
– Was können die schon machen? – der Versehrte winkte ab. – Es ist ernst, Hermann, glaub mir. Die fackeln nicht bloß einen Tanklaster ab. Höchstens mit uns allen drin.
– Also gut, – willigte ich ein, – ich fahre
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