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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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dem Telefon.
    Tamara winselte verängstigt.
    – Beruhig dich, – sagte ich und griff nach ihrer Hand. – Sie hat kein Telefon.
    – Was mischst du dich ein? – Der Punk drehte sich zu mir.
    – Und du? – Ich steckte die Hand in die Tasche des blauen Sakkos und berührte die elektrische Schere, die ich geschenkt bekommen hatte.
    Der Punk bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich etwas scharf in meiner Tasche abzeichnete, beschloss, kein Risiko einzugehen, und gab Ruhe.
    – Okay, – sagte er, – hat keins heißt, sie hat keins. Und du?
    – Willst du mich durchsuchen? – fragte ich ihn.
    – Fick dich ins Knie, – antwortete der Punk. – Wowjez, hier ist alles paletti.
    – Na dann, – antwortete Wowjez, – vorwärts.
    Er gab Sjewas Handy dem Punk und ging voran. Wir folgten und ließen den Wolga leer und offen inmitten der schwarzen, ausgefahrenen Spuren. Im Stillen wiederholte ich immer wieder: »Hauptsache es ruft keiner an, Hauptsache es ruft keiner an.« Der Hund beschnüffelte die Räder, sein Fell glänzte in der Oktobersonne.
    *
    Wir passierten die Garagen, umrundeten die Traktoren und Mähdrescher und kamen an einen großen, aus Schlackstein errichteten Schuppen. An der Seitenwand war eine Tür. In ihrer Nähe drückten sich noch ein paar Bauern herum. Als sie uns sahen, fingen sie alle gleichzeitig an zu reden.
    – Hey, Wowjez, hast du Geiseln genommen? – schrie ein großer Glatzkopf in langer Lederjacke.
    – Lasst sie uns in die Garage sperren, damit die Ratten sie fressen, – schlug ein anderer vor, ein kleiner Mann mit Brille und in Lederkappe, der ihn aussehen ließ wie eine Sonnenblume.
    – Ja, und die Tussie vergraben wir bis zum Frühjahr im Maisfeld! – fiel ein Dritter ein, der eine Lederweste und verdreckte Jeans trug.
    – Lasst gut sein, – sagte darauf der strenge, aber gerechte Wowjez. Ist Grigori Iwanowitsch daheim?
    – Ja, – antwortete der Lange.
    – Wie geht es ihm heute? – fragte Wowjez irgendwie vorsichtig.
    – Beschissen, – antwortete der Kurze, der einer Sonnenblume glich.
    – Kränkelt, – bestätigte der Verdreckte.
    – Dann lasst uns durch! – Wowjez stieß sie auseinander, öffnete die Tür und ließ uns ein.
    Offenbar handelte es sich um ihr Hauptquartier. Die Tapeten waren mit Nägeln an die Schlacksteine gepinnt, an vielen Stellen hatten sie sich gelöst und hingen wie Trauerbanner herab. An den Wänden standen lange, mit alten Webteppichen und Ziegenfellen bedeckte Bänke, in der Ecke lag ein Haufen Winterkleidung – Seemansjacken und Schafspelze, durch das kleine Fenster drang kaum ein Lichtstrahl, und im Zimmer brannten grelle gelbe Glühbirnen. Auf den Bänken saßen oder lagen Bauern, als warteten sie auf etwas oder hofften auf gute Neuigkeiten, die man ihnen bringen würde. Gegenüber der Tür stand an der Wand ein Schreibtisch voller Dokumente und Einweggeschirr. Am Tisch saß ein unrasierter Kerl mit scharfen Gesichtszügen, sein Lächeln war verzerrt. Eine Lederjacke hing ihm über der Schulter, unter der ein unschwer als Fake zu erkennender Armani-Pullover hervorblitzte. Zwei weitere Bauern hatten sich über ihn gebeugt, einer in einem Kunstledermantel, ein anderer in einem schweren Miliz-Lederhut, aber Milizionär war er ganz offensichtlich nicht, denn seine Fingerknöchel zeigten blaue Gefängnistätowierungen. Als er uns sah, verzerrten sich die Gesichtszüge des Kerls am Schreibtisch noch mehr. Wowjez befahl uns, an der Tür stehen zu bleiben, und trat selbst an den Tisch. Die Bauern bedrängten uns von allen Seiten, damit es uns gar nicht einfiele zu fliehen.
    – Grigori Iwanowitsch, – sagte Wowjez und warf das Rohr von einer Hand in die andere. – Hier, die haben wir bei den Garagen gefasst. Sind von einer Kirche, sagen sie. Stundisten. Kommen von der Grenze.
    Grigori Iwanowitsch blickte gleichgültig.
    – Grischa, – sagte der mit den Tätowierungen. – Kaltmachen muss man diese Stundisten. Sieh doch, was sie anrichten.
    – Scheiß drauf, – widersprach der im Mantel, – wir fliegen auf. Ab mit ihnen in die Garage, lass sie schmoren, vielleicht singen sie.
    – Was sollen sie schon singen? – widersprach der mit den Tätowierungen. – Was willst du von ihnen hören? Kaltmachen muss man sie. Und die Karre verbrennen.
    – Grischa, – bestand der im Mantel auf seiner Meinung, – was sollen wir verfuckte Autos verbrennen, sind wir vielleicht im Zirkus? Lass sie bis morgen schmoren, vielleicht fällt ihnen was ein.
    –

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