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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Ein Scheiß fällt ihnen ein, – protestierte der mit den Tätowierungen.
    – Wenn ich es dir doch sage, – protestierte der im Mantel.
    – Hört mal, – wollte der Priester sagen und trat einen Schritt vor, aber er wurde sofort am Kragen gepackt, misch dich nicht ein, wenn die Bauern sich beraten, sollte das heißen.
    – Kurzum, Grigori Iwanowitsch, – meldete sich Wowjez wieder zu Wort, – wir müssen uns entscheiden, sonst wird man sie suchen und hier finden.
    Grigori Iwanowitsch stöhnte schwer. Der im Mantel verstand, fasste in die Tischschublade und holte eine angebrochene Flasche heraus. Grigori Iwanowitsch setzte die Flasche an den Mund und goss sich den Alkohol einfach durch den Ausgießer in den Rachen. Aber der Schnaps hielt sich nicht in seiner Kehle und lief sofort wieder heraus. Grigori Iwanowitsch seufzte bitter, gab die Flasche dem im Mantel zurück und warf sich in den Bürostuhl zurück.
    – Was hat er? – fragte der Priester und wandte sich an Wowjez.
    – Es geht ihm schlecht, – antwortete der kalt. – Das merkst du doch.
    – Eine Lähmung?
    – Selber Lähmung, – antwortete Wowjez beleidigt. – Die Kinnlade hat es ihm rausgehauen, siehst du das nicht? Hatten gestern an der Grenze einen Zusammenstoß mit euren Stundisten. Da hat ihm jemand mit der Lupara eins übergebraten.
    Und ich weiß sogar wer, dachte ich.
    – Das haben wir gleich, – sagte der Priester und ging in Richtung Tisch.
    Von hinten wollte man ihn festhalten.
    – Wartet! – Der Priester wehrte ab, ging am verdutzten Wowjez mit dem Rohr vorbei, schob den mit den Tätowierungen beiseite und beugte sich über Grigori Iwanowitsch. Dessen Blick war schicksalsergeben, aber stahlhart.
    Als die Bauern das sahen, standen sie auf, erhoben sich von den Bänken, drängten sich um den Tisch, bereit, den Priester sofort zu zerfetzen, sollte er ihrem teuren Grigori Iwanowitsch auch nur ein Härchen krümmen. Wowjez wollte den Priester wegjagen, aber Grigori Iwanowitsch hob warnend die Hand, und Wowjez hielt inne, das Rohr einsatzbereit in der Hand.
    Der Priester legte dem Kranken die Hand auf den Kopf, beugte sich hinunter und berührte mit den Fingern vorsichtig die lädierte Kinnlade. Grigori Iwanowitsch zuckte empfindlich. Auch Wowjez erzitterte.
    – Tut das weh? – fragte der Priester Grigori Iwanowitsch. Der stöhnte unsicher. – Die Sache ist die, – fuhr der Priester fort, – dass der Mensch die Möglichkeiten seines Organismus nicht wirklich kennt. Wir nehmen unseren Körper als etwas Gegebenes hin, das wir ein für alle Mal bekommen haben. Daher erscheint uns jedes Leiden als unveränderliche Katastrophe, die uns das Wichtigste raubt – unseren Seelenfrieden. In Wirklichkeit aber ist unser Körper nichts als ein Instrument in den Händen des Herrn, und der Herr entlockt uns seltsame Töne, indem er wie bei einem Akkordeon auf unsichtbare Tasten drückt. Und zwar so: – mit einer schnellen Bewegung drückte der Priester auf die Kinnlade, die knackend zurück an ihren Platz glitt. Grigori Iwanowitsch konnte nicht einmal aufjaulen, so schnell ging alles.
    Der Priester trat zu Seite und betrachtete zufrieden seiner Hände Werk. Grigori Iwanowitsch befühlte mit der Hand unsicher seine Kinnlade, öffnete den Mund und schnappte gierig nach Luft. Die Bauern wandten ihre Blicke gebannt vom Priester zu Grigori Iwanowitsch.
    – Hört, – sagte der Priester, ohne ihnen Zeit zu geben, wieder zu sich zu kommen, – was ich euch sagen will. – Geht schon mal vor, – sagte er zu uns gewandt, – ich komme gleich nach.
    – Vater, – fragte Sjewa verdutzt, – und Sie?
    – Ich komme gleich, – wiederholte der Priester noch fester. – Geht schon zum Auto.
     
    Ich drehte mich zur Tür. Der Punk, der in meinem Rücken stand, schaute fragend zu Grigori Iwanowitsch, aber der nickte apathisch, als wolle er sagen – was soll’s, lasst sie gehen und macht euch nicht in die Hose. Ich schlüpfte durch die Tür und zog Tamara hinter mir her, Sjewa folgte. Beim Hinausgehen bemerkte ich, wie die Bauern den Kreis um den Priester immer enger schlossen, und wollte schon kehrtmachen, er aber schaute uns fest und unbeirrt an, als wolle er sagen, wir sollten nicht stehenbleiben. Der Punk schob sich mit uns hinaus, verwirrt und unzufrieden, und ohne auf die Fragen der Bauern zu antworten, die sich vor der Tür drängten, führte er uns zurück zum Wolga.
    Die Sonne kullerte hinter die Garagen, das schwarze Öl reflektierte scharf die

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