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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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ja auch schon beim bloßen Zuschauen einen leisen Schauer aus. Manchmal überlegte ich, wie es wohl wäre, genauso geküsst zu werden, gab diese Überlegungen aber rasch wieder auf, weil ich nicht daran glaubte, irgendwann in meinem Leben einmal einen Menschen zu finden, den ich selbst so küssen oder der mich so küssen würde. Die Eltern, dachte ich damals, gehörten zusammen, für mich aber gab es niemanden meines Alters, zu dem ich gehörte, ich war eben allein.
     
    Und so trieb ich mich meist seit den frühen Morgenstunden auf dem dunklen, lang gestreckten Flur unserer Wohnung herum, nach beiden Seiten gingen die Zimmer ab, das Wohnzimmer, das Esszimmer, das Schlafzimmer der Eltern und die große Küche. Von manchen Zimmern aus schaute man in den kleinen Innenhof, von den anderen, jenseits des Flurs liegenden, aber auf den großen ovalen Platz mit seinen Pappeln, den gepflegten Rosenbeeten und dem Kinderspielplatz, auf dem erst später die ersten Kinder mit ihren Müttern eintrafen.
    Im dunklen Flur war ich allein, ich schlug den blauen Vorhang der Abstellkammer beiseite und ordnete meine Zeitschriften auf den hellen Holzregalen in schweren Stapeln, ich nahm das Spielzeug aus den unter den Regalen stehenden Kisten und baute es dann irgendwo in einer Ecke des Flurs oder entlang der Wände auf: Den kleinen Bauernhof mit all seinen Tieren, Hütten und Zäunen, die winzigen, mit einem kleinen Drehschlüssel aufziehbaren Autos, die ich zu kleinen Wettrennen durch die ganze Länge des Flurs schickte, vor allem aber die Bälle, unendlich viele, kleine und große Bälle, die ich durch den Flur wirbeln ließ, hintereinander, wie auf der Jagd, oder gezielt, wie Kugeln, die an der Front ein paar Kegel abschießen mussten. Mit diesen Bällen konnte ich Stunden verbringen, indem ich mir immer ein neues Spiel ausdachte, insgeheim ließ ich Mannschaften gegeneinander antreten und merkte mir dann die Spiel- und Punktestände, auch hier entwarf ich Pläne und Systeme und beschäftigte mich mit der Erfindung der seltsamsten Spielvarianten.
    Manchmal kam dann die Mutter vorbei, sie hatte aufgehört zu lesen und ging hinüber in die Küche, tat aber, als bemerkte sie mich nicht, jedenfalls blieb sie niemals stehen oder schaute mir zu, sondern warf höchstens einmal einen kurzen Blick auf mein Treiben, als könnte mein Tag ja gar nicht anders verlaufen als genau so. Wenn sie etwas länger und aufwendiger kochte, ließ sie die Küchentür offen, schaltete das Radio ein oder legte eine Schallplatte auf, sie hörte ausschließlich klassische Musik, aber auch die nur sehr gedämpft, so dass sie im Flur fast kaum noch zu hören war.
    Oft waren es Frauenstimmen, in allen Höhenlagen singende Frauenstimmen, die eine Arie oder sonst etwas Getragenes sangen, ich mochte all diese Stimmen nicht sehr, sie machten mich traurig, denn jedes Mal, wenn ich sie hörte, kam mir ein seltsames Bild vor Augen: das Bild einer einsamen Frau in einer abgelegenen Landschaft, die ihre Einsamkeit oder etwas ganz und gar Unheimliches, ja Furchtbares beklagte. Auch Vater mochte diese Art von Musik nicht, der musikalische Geschmack der beiden war sehr verschieden, zwar hörte auch Vater nur klassische Musik, aber fast ausschließlich orchestrale und nur in seltenen Fällen etwas mit Gesang.
    Hatte Mutter in der Küche mit der Vorbereitung des Essens begonnen, wartete ich meist noch eine Weile, bis ich meine Spielsachen stehen ließ und zu ihr in die Küche ging. Ich setzte mich an den Küchentisch und schaute ihr bei der Küchenarbeit zu, ich bekam etwas zu probieren oder half ihr beim Kleinschneiden von Gemüse oder Obst, manchmal legte ich mich auch einfach nur auf das schmale Sofa, das für mich bestimmt war, weil ich auf diesem Sofa in meinen Zeitschriften blätterte und mir dort auch eine kleine Ecke mit Bilderbüchern eingerichtet hatte.
    Meist gab es am Mittag für Mutter und mich nur eine Suppe mit etwas Brot, Mutter liebte das Suppenkochen, und sie kochte gewiss die besten Suppen, die ich je gegessen habe. Das Suppenkochen hatte den Vorteil, dass man mit seiner Vorbereitung irgendwann beginnen und während des Vor-sich-Hinkochens der Suppen etwas anderes tun konnte, genau so machte es Mutter jedenfalls meist, sie enthäutete Tomaten, schnitt sie klein, gab sie in den mächtigen Suppentopf und ließ daneben, in einem zweiten Topf, eine gute Brühe ziehen.
    Zwei, drei oder auch vier Stunden brauchten diese Suppen, bis sie gut eingekocht waren, es gab

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