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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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verbrachten Jahre noch einmal genau vor mir sehen und sie ohne jede Ablenkung oder Störung besser begreifen, ja ich wollte sie unbedingt noch einmal in allen mir wichtigen Einzelheiten erleben, um mich danach wieder frei in Rom bewegen zu können.
     
    Woher damals der erste Impuls kam, hierher zu reisen, habe ich bereits angedeutet. Zunächst handelte es sich nur um eine unbestimmte Idee, die sich an die Erzählungen meines Onkels und den ebenfalls seit Langem bestehenden Wunsch anlehnte, auch einmal ins Ausland und vor allem nach Italien zu reisen.
    In meinen gesamten Ferienzeiten während der letzten Gymnasialjahre war ich nämlich nie ins Ausland gefahren, sondern hatte viele deutsche Landschaften meist zu Fuß oder mit dem Fahrrad durchstreift. Ich war durch Schleswig-Holstein und von Hamburg aus südlich an der Elbe entlanggefahren, ich war den Rhein von Mainz bis zur holländischen Grenze stromabwärts gewandert, ich war am Main und an der Donau gewesen und hatte ihren Lauf für einige Wochen begleitet – immer wieder war ich dabei allein unterwegs gewesen, und immer wieder hatten diese Reisen denselben Zielen gegolten.
     
    Zum einen bestanden diese Ziele aus Konzertsälen aller Art, in denen ich möglichst auch gleich einen Klavierabend erleben wollte, zum anderen aber bestanden sie aus Kirchen, von denen ich die meisten nur wegen ihrer Orgeln, andere wegen ihrer Kunstdenkmäler, viele aber auch wegen ihrer Akustik besuchte. Das notwendige Reisegeld verdiente ich mir mit Auftritten in Wirtschaften, Clubs und anderen Versammlungsstätten, wo ich keineswegs nur klassische Musik, sondern die seltsamsten Programme spielte.
    Es waren Programme von zweimal dreißig oder wahlweise auch fünfundvierzig Minuten, die aus kurzen, höchstens fünfminütigen Stücken bestanden, auf Domenico Scarlatti folgte Duke Ellington, auf Joseph Haydn folgte Ravel, und zwischendurch improvisierte ich frei über Motive, die ich aus der Pop-Musik, Schlagern oder einfach nur aus zufällig mitgehörten Radio-Sendungen entlehnt hatte.
    Auch in Köln trat ich mit solchen Programmen auf, verwendete jedoch bei all diesen Gelegenheiten ein Pseudonym, da ich meinen guten Ruf als klassischer Pianist nicht vorzeitig ruinieren wollte. Hätte Walter Fornemann erfahren, mit welchen Musik-Programmen ich mein Geld verdiente, wäre ich nicht länger sein Schüler geblieben.
     
    All diese Reisen und Unternehmungen aber hatten auf die Dauer immer mehr die Sehnsucht verstärkt, den deutschsprachigen Raum endlich einmal zu verlassen. Die Hauptursache dafür, dass ich das nicht tat, bestand in meiner geradezu abnormen und mir nicht auszuredenden Angst davor, im Ausland Tag und Nacht eine fremde Sprache sprechen zu müssen.
    Ich hatte mich mit Leuten unterhalten, die mein Sprachproblem und meine daher rührenden Ängste kannten. Sie hatten zwar kategorisch ausgeschlossen, dass ich die eigene Sprache wieder verlieren würde, wenn ich mich intensiv auf eine fremde einließ, ich selbst war mir da aber nicht sicher, sondern argwöhnte lange Zeit, dass so etwas sehr leicht passieren könnte.
    Schon im Schulunterricht hatte mich das Erlernen fremder Sprachen häufig verwirrt, weshalb ich keine Fremdsprache auch nur in Ansätzen richtig gelernt, sondern es nur zu einem passiven Leser von Texten und zu einem Wiederkäuer von vorgefertigten sprachlichen Wendungen gebracht hatte. Flüssig und unangestrengt eine fremde Sprache zu sprechen, das war mir nie gelungen, ja ich hielt es sogar für unmöglich, dass mir so etwas je gelingen würde.
    War es vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen aber nicht denkbar, dass ich im Ausland, wenn ich nicht nur ein paar Stunden, sondern unaufhörlich eine fremde Sprache sprechen musste, in seltsame und unerwartete Konfusionen geriet? Schließlich verlief alles, was mit dem Sprechen, der Sprache und meiner Vorstellungskraft zu tun hatte, in meinem Fall nicht normal, sondern häufig auf unerwartete, verquere Art. Wie aber, wenn mich in einem solchen unerwarteten Fall niemand verstand und ich ganz auf mich selbst angewiesen war? Am Ende hätte ich vielleicht irgendwo krank und verstört im fernen Ausland gesessen und es nicht einmal fertiggebracht, einen einzigen verständlichen Satz zu formulieren.
     
    Schon allein der Gedanke an Reisen ins fremdsprachige Ausland hatte in mir also bereits eine gewisse Panik ausgelöst, so dass ich mich höchstens bis in Regionen vorgetraut hatte, wo zumindest zum Großteil Deutsch und nur von

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