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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Minderheiten andere Sprachen gesprochen wurden. Eine dieser bevorzugten Regionen war Zürich gewesen, dorthin war ich sogar immer wieder und fast regelmäßig mehrmals im Jahr gefahren.
    In Zürich besuchte ich Klavierabende in der Tonhalle, dort trat ich in einem kleinen Club direkt an der Limmat auf, ja, ich hatte in Zürich sogar einige Bekannte, die sich über meine Besuche freuten und mit mir Streifzüge durch die Stadt unternahmen. Auf diesen Streifzügen durch die Cafés und Lokale war ich nicht nur einigen Schweizer Schriftstellern begegnet, nein, ich war auch immer wieder in kleine Gesprächsrunden geraten, in denen entweder Schweizer-Deutsch oder Französisch, Englisch oder Italienisch gesprochen wurde.
    Meine Zürcher Freunde hatten mit diesen plötzlichen Sprüngen von der eigenen Sprache in eine andere keine Probleme, meist beherrschten sie das Französische und Italienische sogar so selbstverständlich, dass sie mitten im Satz die Sprache wechseln konnten. Ich selbst aber geriet in solchen Situationen schon nach Sekunden derart durcheinander, dass ich mich wenige Minuten später unter einem Vorwand verabschieden und das Weite suchen musste.
    Nichts wie weg! Hinaus aus diesem Café! Ich brauchte einige Zeit, bis ich mich wieder beruhigt hatte, denn während der mehrsprachigen Gesprächsrunden hatte ich das Gefühl gehabt, die deutschen Worte in meinem Kopf würden eins nach dem anderen durch fremdsprachige ersetzt. Ich spürte genau, wie sie zugunsten eines Kauderwelschs verschwanden, sie lösten sich auf oder veränderten sich, sie wurden flüssig oder zerbrachen in unverständliche, kleine Bestandteile.
    Kann man sich vorstellen, dass ich mich in solchen Panik-Momenten an einen ruhigen Ort wie zum Beispiel den Zürcher-See setzen musste, um wieder zu mir zu kommen? Und kann man sich vorstellen, dass der dann regungslos dasitzende, konfus gewordene Mensch im Stillen begann, Gedichte zu rezitieren, um sich des besonderen Klangs und Ausdrucks der deutschen Sprache wieder zu vergewissern?
    Ich möchte von diesen sonderbaren Momenten, die hoffentlich für immer hinter mir liegen, nicht weitererzählen, ich erwähne sie an dieser Stelle auch nur, um an einem Beispiel zu zeigen, dass meine Angst vor einem Aufenthalt im fremdsprachigen Ausland nicht unbegründet war. Solchen Aufenthalten deswegen aber ein Leben lang aus dem Weg zu gehen, war auch nicht möglich, irgendwann musste ich einen Versuch wagen.
     
    Daher hatte ich mich schließlich auf die Phantasie eingelassen, sofort nach dem Abitur für zwei, drei Wochen nach Rom zu reisen. Vom ersten Moment ihrer Entstehung in den Essener Tagen an verwandte ich auf die Ausschmückung dieser Phantasie einige Arbeit. Ich las viel über Rom und schaute mir lauter Filme an, die in Rom spielten. Nach einer Weile war ich so voller Bilder, dass ich an einem Nachmittag in einem Kölner Brauhaus mit eigenartigen Notizen begann, die einem nicht informierten Leser wie Römische Notizen hätten erscheinen können.
     
    Ich habe diese alten Notizen jetzt vor mir, und ich öffne jetzt die kleine, schwarze Kladde, die ich als junger Mann noch in Köln angelegt habe, um mich in die Ferne zu hexen und nach Rom zu phantasieren: Ein einfaches, karges Zimmer mit einer schmalen, flachen Liege … Eine Front von verschlossenen, grünen Läden... Ein alter, kahlköpfiger Mann im weißen Unterhemd … Die Palmen im Innenhof, in ihrer Mitte ein kleiner Brunnen … In einer Kirche knien ausschließlich Frauen, jede von ihnen in einer anderen Bank … Die gewundene Gasse, die so aussieht, als wäre sie ein immer schmaler werdender Geheimnisweg, den man nicht mehr zurück-, sondern auf dem man immer nur vorangehen kann …
     
    All diese kleinen Beobachtungen und Bilder hatte ich entweder Büchern oder Filmen entnommen, ja, ich hatte während meiner Lektüre und während meines Schauens von Filmen begonnen, mir solche Bilder zu merken, um sie schließlich auch schriftlich zu speichern.
    Es war ein ganz und gar verrücktes Projekt, das ich dem alten Sprachlernprogramm meines Vaters abgeschaut hatte. Bild für Bild und Raum für Raum setzte ich Rom in meinem Kopf zusammen, bis ich bei der Nennung von bestimmten Straßennamen sogar einige entsprechende Bilder vor Augen hatte.
    Ich wollte in Rom ankommen als einer, der bereits mit Bildern von dieser Stadt gesättigt war, ich wollte Rom nicht als eine fremde, sondern als eine Stadt betreten, die ich in meiner Phantasie längst durchstreift

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