Die Erfindung des Lebens: Roman
richtig, wir befanden uns …- ja, wo eigentlich? Wir befanden uns in einem Hier und Jetzt. War dieses Hier und Jetzt das Hier und Jetzt meiner Erzählung, oder war es das Hier und Jetzt meines Lebens? Ich bin etwas durcheinander, Antonia, sagte ich, ich bin mit diesem Hier und Jetzt durcheinandergeraten. – Das macht nichts, sagte Antonia, dann erklären wir das Hier und Jetzt einfach zu meinem Hier und Jetzt. Ich nämlich sitze hier, neben Dir, hier und jetzt, ich bin ab hier und jetzt Deine, wenn ich richtig rechne, zweite römische Freundin. Das bin ich doch? Sag, bin ich das? – Ja, sagte ich, das bist Du auf jeden Fall, da gibt es kein Durcheinander, Du bist meine zweite römische Freundin …
Jetzt, ja. Ich verlasse jetzt das Conservatorio, ich schaue auf die Uhr, es ist 12.30 Uhr. Draußen, in der Bar gegenüber, warten Paolo und Clara auf mich. Als ich die Bar betrete, stehen sie an der Theke und trinken beide ein Glas Mineralwasser. Ich blicke auf dieses Mineralwasser, gehe auf sie zu und sage: Ihr trinkt Mineralwasser? Wir trinken jetzt einen Spumante!
In diesem Moment wissen sie, dass ich es geschafft habe. Ich aber stehe herum und fühle mich so erschöpft und schwach wie seit Langem nicht mehr. Aber da ist Paolo, und Paolo umarmt mich länger als eine Minute, wischt sich unbeholfen ein paar Tränen aus den Augenwinkeln und sagt, dass er im Stillen für mich gebetet habe. Und da ist natürlich auch Clara, die zu mir kommt, meinen Kopf in beide Hände nimmt und mir einen Kuss gibt. Sie küsst mich aber nicht wie sonst, flüchtig und eher nebenbei auf die Wange, nein, Clara steht mir gegenüber, hält meinen Kopf und küsst mich auf den Mund.
Plötzlich ist alles ganz anders als zuvor. Es ist, als wäre dieser Kuss das Signal für unsere Liebe, ja, wahrhaftig, genau so empfinde ich es in diesem Moment, und genau so habe ich es später immer wieder empfunden. Ich stehe in der kleinen Bar, umarme Clara und denke, als wäre mir gerade blitzartig diese Erkenntnis gekommen: Ich bin verliebt, zum ersten Mal in meinem Leben bin ich verliebt! Eine winzige Drehung in unserer Freundschaft hat bewirkt, dass ich verliebt bin, eine kleine, winzige Drehung oder Umschichtung oder Potenzierung unserer Gefühle hat meine Verliebtheit bewirkt. Von einer Sekunde auf die andere ist es geschehen, in einem seltenen, glücklichen Moment, in einem Moment, in dem wir uns so berühren und so zusammenfinden, wie wir uns zuvor vielleicht immer hatten berühren wollen.
Ich bin aber nicht allein mit diesem Gefühl, nein, ich schaue Clara an, und ich sehe genau, dass sie in diesem seltenen, einzigartigen Moment dasselbe empfindet. Ich erkenne es an ihrem Strahlen, ich erkenne es daran, dass sie kein Wort sagt, mich anstrahlt und nicht aufhören kann, mich zu küssen. Immer wieder von Neuem fliegen unsere Münder aufeinander zu, immer wieder suchen sie die Berührung, es hört gar nicht auf, nein, wir können nicht aufhören, es ist, als hätte uns eine seltsame Sucht befallen, heftig und gewaltig. Wir nehmen die Umgebung nicht mehr wahr, wir sind völlig vernarrt in dieses unermüdliche Küssen und Einander-Berühren, die Empfindung ist so stark und so erotisierend, dass es beinahe nicht zum Aushalten ist.
Am liebsten würde ich mich sogar auf der Stelle entkleiden, und am liebsten würde ich Clara entkleiden, dieser plötzliche, irre Gedanke steckt von diesem Moment an in meinem Kopf. Dazustehen und sich zu küssen, das genügt einfach nicht mehr, vor allem genügt es aber nicht, sich in dieser viel zu kleinen und engen Bar zu küssen, und vor allem geht es nicht an, sich in Paolos Nähe zu küssen, denn Paolo weiß natürlich längst nicht mehr, wohin er noch schauen soll, um den Anblick der beiden sich Küssenden zu vermeiden.
Letztlich ist Paolos Anwesenheit aber der Grund dafür, dass Clara und ich den Absprung schaffen, denn Paolo hat inzwischen eine Flasche Spumante und dazu mehrere Gläser bestellt, und dann trinken wir nicht nur zu dritt, sondern laden auch noch die anderen Anwesenden ein, mit uns ein Glas Spumante zu leeren. Auch während wir trinken, können wir aber nicht voneinander lassen, nein, Clara und ich, wir halten uns weiter an den Händen, und als die Gläser leer sind, rücken wir noch enger zusammen und küssen uns wieder, denn es hat uns so gepackt, dass wir gar nicht mehr anders können.
Paolo macht sich dann zurück auf den Heimweg, wir aber denken nicht daran, jetzt zurück in die
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