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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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alles von selbst wissen, alles von allein, ja, die Körper haben ein geradezu phantastisches Repertoire an kleinen Gesten und Annäherungen, das mit dem teilweisen Entkleiden beginnt, mit dem Ausziehen meines weißen, gestärkten Hemdes und mit dem raschen Über-den-Kopf-Streifen des roten Shirts, das Clara trägt. Die Nacktheit unserer Oberkörper verschwindet aber im Schatten der Bäume, sie wirkt nicht auffällig oder fremd, nein, ganz im Gegenteil, die Nacktheit der leicht gebräunten, aber noch nicht dunklen Haut wirkt wie genau die richtige, passende Ergänzung zum dunklen Steineichengrün, ich bekomme diese Harmonie gerade noch mit, es schaut aus wie ein Farbspiel auf einem impressionistischen Picknick im Grünen , dann aber sehe ich nichts mehr von all diesen Spielereien, denn ich spüre nur noch, wie die beiden nackten Oberkörper unter der gegenseitigen Berührung einen Moment erschauern und sich dann kaum noch bewegen, es ist der pure Genuss, die Urform des Genusses, denke ich noch, alle anderen Genüsse leiten sich her von diesem hinreißend schönen Erleben, dem Erleben der totalen Berührung eines anderen nackten Körpers, dem Erleben dieses Schocks, der Erstarrung, dem Einatmen und Einsaugen des Fremden, das so erleichternd nah und vertraut ist, ja, absolut fremd und absolut nah, beides zusammen in ein und demselben Moment.
     
    Ich glaube, wir haben unendlich lange Zeit so beisammen gelegen, die Oberkörper dicht aneinander geschmiegt, nur noch vertieft in Orgien von Küssen, ja, wir haben das alles sehr lange genossen, bis wir nahe genug an der Klippe standen, sehr nahe, kurz vor dem Absprung, und als es denn so weit war, haben wir es in Windeseile beinahe zugleich geschafft, auch die anderen Kleidungsstücke noch loszuwerden, weg damit, und sofort spürten wir, dass jetzt die Erfüllung unserer lange gehegten Erwartung begann, das vollkommene Ineins der beiden Körper, so selbstverständlich leicht und so schön, als wären sie nur dafür bestimmt.
     
    Genau das aber dachte ich wirklich, eigentlich ist der Körper nur dafür bestimmt, dachte ich und war in diesem Moment über die Maßen glücklich, dass ich so etwas erfahren und herausbekommen hatte. Ich, ausgerechnet ich, der ich nie daran geglaubt oder gar darauf gehofft hatte, so etwas wie Die Liebe einmal zu erleben, ich erlebte das alles jetzt, und ich erlebte es als eine Sensation , ja, genau als das erlebte ich es, ich erlebte Die Liebe wie ein Ereignis, mit dem ich nie gerechnet hatte und das ich mir nie hätte ausmalen können. Als unerwartetes, ja geradezu blitzhaft eingetretenes Ereignis überstieg es meine Vorstellungen und Gedanken. Nicht einmal daran zu denken, hatte ich ja bisher gewagt, und es war gut gewesen, dass ich daran erst gar nicht gedacht hatte, denn ich hätte meine Zeit nur mit unsinnigen Grübeleien verschwendet, nichts geahnt oder erspürt. Die Liebe als Erlebnis ließ alles hinter sich, was ich mir hätte träumen können …
     
    All diese Empfindungen erschienen mir aber wie ein rasanter Traum von nur ein paar Sekunden, während ich neben Antonia ein Glas Weißwein aus den Castelli Romani leerte, eine winzige, flüchtige Berührung von Antonias Seite hatte zu meinen Träumereien geführt, eine Berührung, die von ihrem nackten Unterarm nach jenem Moment ausgegangen war, als sie ihre Jacke abgestreift und mir übergeben hatte, damit ich sie über ihre Stuhllehne hängte.
    Genau das tat ich, doch als ich mit dem eigenen nackten Unterarm eine Bewegung von dieser Lehne zurück an den eigenen Platz machte, streiften sich unsere Arme zufällig. Es war wirklich nur eine sehr flüchtige, momentane Berührung von einigen Zehntelsekunden, doch diese Berührung genügte, um den rasanten Traum auszulösen, denn plötzlich spürte ich die alte, vertraute Empfindung, eine Mischung aus starker Wollust und verhaltener, noch kontrollierter Gier, eine starke Sehnsucht, ein extremes Verlangen.
     
    Ich wusste nicht, ob es Antonia ähnlich erging, ich sagte jedenfalls nichts, war aber erstaunt, dass sie mich nach einem kurzen, stummen Moment plötzlich fragte, ob ich wirklich Liebesromane schriebe. Wie kommst Du denn darauf?, fragte ich, und sie antwortete, sie habe sich in der Buchhandlung im Parterre unseres Wohnhauses nach den Büchern, die ich bisher geschrieben hätte, erkundigt. Zuletzt hätte ich anscheinend ausschließlich Liebesromane geschrieben, zwei oder sogar drei hintereinander. Warum schreibst Du Liebesromane? Wie bist Du

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