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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Via Bergamo zu gehen, wir wissen nicht, was wir als Nächstes tun werden, wir spüren nur, dass wir jetzt nicht mehr unserem Verstand gehorchen, sondern alle Vernunft abgegeben haben an unsere Körper, die völlig selbständig ticken und nichts anderes begehren als eine möglichst ununterbrochene, intensive, ja gar nicht mehr aufhörende Nähe.
     
    Wir verlassen die Bar und stehen im hellsten römischen Mittagslicht, ich frage Clara, ob ich sie zum Essen einladen solle, aber wir wissen beide, dass das nicht das Richtige ist, nein, wir passen doch jetzt nicht an einen Mittagstisch, wir haben ja gar nicht die Geduld für ein Mittagessen und für ein ruhiges Sitzen und für all diesen zivilisierten Genuss, im Grunde wollen wir nichts anderes als uns bewegen, unterwegs sein, Hand in Hand durch die römischen Straßen oder besser noch durch die römischen Parks laufen, wir wollen unterwegs sein, um einen Platz für uns beide zu finden, wir suchen einen abgelegenen Platz, wo wir allein sind und jedem Anblick entgehen, das genau suchen wir jetzt.
    Zum Glück aber hat Clara die gute Idee, etwas gegen unseren Hunger und gegen den Durst zu tun, deshalb fallen wir vor unserer Suche noch in einem Lebensmittelgeschäft in einer Seitenstraße des mächtigen Corso ein, es gibt dort alles, was wir brauchen, etwas Brot, Mortadella und Käse, Mineralwasser und Weißwein, das passt alles in eine leichte, handliche Busta, vielen Dank für die Busta , sage ich auf Italienisch zu dem Händler, weil mir das Wort busta so gut gefällt, denn busta ist natürlich schöner als Tasche oder gar Tüte.
    Mit der gefüllten Busta in der linken und Clara an der rechten Hand steige ich dann hinauf zur Aussichtsterrasse des Pincio, dort oben beginnt das grüne Parkgelände der Villa Borghese, wir schlüpfen hinein in das schattige Grün der großen Steineichen, Zypressen und Pinien, die Stadtgeräusche treten allmählich zurück, das schrille Zirpen der Grillen beginnt in den Zonen des von der Sonne strohblond gebleichten Grases, wir sind unterwegs, bleiben aber zwischendurch immer wieder lange stehen, um uns zu küssen, einmal kollert die Busta während dieser Küsse einen kleinen Hang hinunter und die Lebensmittel verstreuen sich an seinem Auslauf zu einem pittoresken hellgrünen Bild wie von Warhol.
     
    Zum Glück ist es so heiß, dass kaum Spaziergänger unterwegs sind, jetzt, in den Stunden zwischen 13 und 17 Uhr, döst die Ewige Stadt vor sich hin und hält ihre Bewohner unter Tausenden von Ventilatoren gefangen, Paolo hat gesagt, der Mittagsschlaf sei der eigentliche römische Tiefschlaf, nachts dagegen schliefen die Römer nicht tief, sondern eher nervös, in steter Erwartung des frühen Morgenlichts. Clara und ich, wir suchen aber nicht wirklich nach einem Ort, wo uns niemand beobachten kann, wir bewegen uns vielmehr weiter, obwohl es solche Orte für das Alleinsein doch überall gibt.
    Ich weiß aber genau, warum wir noch nicht haltmachen, wir fliehen noch ein wenig vor dem, was ganz unausweichlich geschehen wird, wir laufen gegen unseren eigentlichen Willen noch etwas davon. Keiner von uns beiden sagt noch etwas, aber ununterbrochen rotiert in unseren Köpfen jetzt eine kleine Phantasie- und Erwartungs-Maschine: Wie wird das sein, vor dem wir davonlaufen? Was genau wird jetzt geschehen?
     
    Dann aber sind wir so erschöpft, dass es nicht mehr weiter geht, wir machen im dunklen Schatten von Steineichen halt und tun dann noch einen Moment so, als wollten wir wirklich die Lebensmittel Stück für Stück aus der Busta auspacken. Clara beginnt jedenfalls damit, aber es wird mir zu viel, mein Gott, ich habe nicht den geringsten Hunger, nein, und dann gebe ich Clara das erwartete Zeichen, indem ich mit der Hand kurz über ihren Rücken streiche, so dass sie sich sofort zu mir umwendet und wir uns wieder zu küssen beginnen, immer wieder von Neuem, aber jetzt in dieser schattigen, kühlenden Glocke des kleinen Wäldchens, wo wir den weichen, duftenden Boden ganz für uns haben.
     
    Mit diesen erneuten Küssen ist aber alles vergessen, was sich gerade ereignet hat, unser Einkauf, unser Weg, alles ist ausradiert und bereits aus dem Gedächtnis getilgt, was wir jetzt wahrnehmen ist nichts als die unglaublich erleichternde Anknüpfung an unsere Küsse in der Bar nahe dem Conservatorio. In all unseren Bewegungen ist diese Erleichterung, wir denken jetzt an nichts anderes mehr, wir überlassen uns ganz diesem Empfinden, dem Gefühl, dass die Körper

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