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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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traditionell römischen Kichererbsensuppe, ich notierte mir lauter Details, ja ich ging geradezu verschwenderisch mit meiner morgendlichen Zeit um, die ich doch sonst immer mit Schreiben verbracht hatte.
    Kurz vor Mittag hatte ich meine Einkäufe dann endlich hinter mir und brachte alles zunächst in meine Wohnung. Ich stellte den Wein kühl und breitete meine Einkäufe auf dem Küchentisch aus, offensichtlich hatte ich viel zu viel eingekauft und mich keineswegs an die Menu-Vorschläge gehalten, schon allein all die Käsesorten, die ich in einem nahe gelegenen, stadtbekannten Feinkost-Geschäft erstanden hatte, hätten für eine passable Abendmahlzeit gereicht, ganz zu schweigen von den hervorragenden Würsten, die ich aus reiner Schaulust gekauft hatte und von denen ich zwei oder drei – ganz gegen meine Vorsätze – am Abend in der Pfanne braten würde.
     
    Während ich so noch in der Küche hantierte, hatte ich plötzlich Lust, die gekauften Sachen zu einem Stillleben zu ordnen, im Grunde war das alles ja bereits in ungeordnetem Zustand ein schöner Anblick, um wie viel schöner aber würde es noch erscheinen, wenn ich es zu einem Stillleben komponiert hätte.
    Ich begann auch gleich damit, ging aber zuvor hinüber in mein Arbeitszimmer, um eine CD einzulegen, ich dachte an ältere Bach-Aufnahmen des Pianisten Alfred Cortot, die ich lange nicht mehr gehört hatte, ich drückte die Play-Taste und ging wieder in die Küche zurück, als ich aber in der Küche ankam, bekam ich ausgerechnet eine Cortot-Aufnahme mit den Walzern Frédéric Chopins zu hören.
     
    Im Grunde war es natürlich zum Lachen, ich lachte aber nicht, ja es amüsierte mich nicht ein bisschen, statt der erwarteten Stücke von Bach nun die Walzer von Chopin zu hören. Im ersten Ärger wollte ich sofort wieder zurück ins Arbeitszimmer gehen, um die falsch einsortierte CD aus dem CD-Player zu nehmen und durch eine andere zu ersetzen, dann aber blieb ich auf halbem Weg stehen, hörte einige Minuten zu und ging dann wieder zurück in die Küche, wo ich mich an den großen Tisch setzte, auf dem die Bestandteile des heutigen Abendessens lagen. Ich setzte mich, ich begann, etwas aufzuräumen, ich verteilte die eingekauften Lebensmittel auf dem großen Tisch, und ich hörte dabei ununterbrochen die Walzer Chopins. Sofort war die alte Szenerie wieder da: Der Hof und die Gastwirtschaft, meine Mutter, die letzten Tage auf dem Land …

24
     
    MUTTER UND ich – wir hatten nach unserer mehrwöchigen Trennung nicht sofort wieder zueinandergefunden. Jeder von uns beiden spürte es, unser früherer gemeinsamer Rhythmus passte nicht mehr, der eine tat dies und der andere jenes, mehr als den halben Tag verbrachte jeder für sich allein.
    Wenn ich mich am frühen Morgen an das Klavier setzte, nahm sie zwar neben mir Platz und kontrollierte mein Spiel, ich mochte diese Kontrolle aber eigentlich nicht mehr und noch viel weniger mochte ich, dass sie sich später selbst an das Klavier setzte und übte, während ich draußen im Freien einer anderen Beschäftigung nachging.
    Während der letzten Wochen hatte jeder von uns beiden ohne den anderen auskommen müssen, darunter hatte die frühere Symbiose gelitten. Wir hätten versuchen können, die Risse wieder zu kitten, aber inzwischen hatte jeder bestimmte Eigenheiten und Vorlieben entwickelt, auf die er nicht wieder verzichten wollte.
     
    Ich selbst bemerkte zwar an vielen Kleinigkeiten, dass Mutter sich Mühe gab, die alte Nähe zu mir wiederherzustellen, hielt mich aber ihr gegenüber etwas zurück, weil ich ihren Brief noch genau im Kopf hatte. Sie hatte doch geschrieben, dass wir nicht so weitermachen wollten wie bisher, ja sie hatte doch ausdrücklich den Wunsch geäußert, dass sich etwas ändern müsse. Wenn sie aber wirklich dieser Meinung war und es sich nicht nur um Absichtserklärungen handelte, durften wir beide nicht mehr einen Großteil des Tages in der Nähe des anderen verbringen.
     
    Dass ich mich ihr gegenüber zurückhalten müsse und dass ich meinen bisherigen Tagesablauf nicht wieder ändern dürfe – das alles ging mir die ganze Zeit durch den Kopf, ich konnte über so etwas aber noch nicht sprechen, da ich vorerst nur über eine sehr einfache Sprache verfügte.
    Ich antwortete jetzt zwar meist, wenn ich etwas gefragt wurde und die Frage verstanden hatte, aber ich antwortete in kurzen, einfachen Hauptsätzen, die auf die Fragesteller nicht selten komisch wirkten. Alle Bewohner des Hofes waren

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