Die Erfindung des Lebens: Roman
zwar gebeten worden, mich nicht auszulachen und meine ersten sprachlichen Äußerungen nicht gleich wieder im Keim zu ersticken – die jüngeren hielten sich daran aber nicht, sondern begannen immer wieder zu lachen und lachten dann hinter vorgehaltener Hand weiter.
All dieser Spott machte mir aber nicht mehr viel aus, zum einen deshalb, weil ich an Spott schon seit den ersten Kinderjahren gewohnt war, zum anderen, weil ich fest daran glaubte, bald besser und freier sprechen zu können. Vorerst brauchte ich zum Sprechen noch sehr konkrete Bilder, ich musste sie vor Augen haben, und ich musste genau wissen, wie man die Gegenstände auf diesen Bildern benannte. Was mir jedoch fehlte, waren die Verben und Adverbien, die Bewegung und Aktionen in meine Sprache gebracht hätten. Deshalb antwortete ich zum Beispiel auf eine Frage wie Wohin gehst Du, Johannes? nicht mit einem Ich gehe zum Fluss , ich gehe schwimmen, sondern mit einem Da ist der Fluss. Am Fluss sind die Pappeln, womit ich ausdrücken wollte, dass ich in der Nähe der Pappeln im Fluss schwimmen wollte.
Um mich richtig zu verstehen, musste man also meine Sätze miteinander kombinieren und ein Gespür dafür haben, wie die Lücken in meinen Sätzen zu füllen waren. Der einzige, der das perfekt beherrschte, war mein Vater, der meist genau ahnte, was ich sagen wollte. Meine Mutter dagegen, die unsere Spaziergänge und Streifzüge ja nicht mitbekommen hatte, stand nicht selten vor einem Rätsel, zumal sie ja selbst noch nicht sprach und daher nicht weiter nachfragen konnte.
Auch von meinen anderen Fortschritten hatte sie selbst zunächst wenig, Mutter hatte keine Freude daran, sich viel draußen im Freien zu bewegen, und sie unternahm mit mir auch sonst nichts, obwohl ich zum Beispiel damit gerechnet hatte, dass sie mich einmal zum Baden in dem uns beiden vertrauten See mitgenommen hätte. Das aber tat sie nicht, sie nahm mich nicht mit, ging aber, wie ich rasch herausgefunden hatte, durchaus manchmal allein in das Wäldchen und damit zum See.
Für mich hatten ihre einsamen Gänge zur Folge, dass ich selbst den See nicht mehr aufsuchte, sondern nur noch im Fluss schwimmen ging, manchmal badeten und schwammen wir wahrscheinlich zur selben Stunde in zwei getrennten Gewässern, ich verstand das nicht, ich verstand nicht, warum Mutter nicht daran dachte, ihrem einzigen, geliebten Sohn einen Waldsee zu zeigen, in dem sie selbst doch offensichtlich gern badete.
Da ich mich aber auch nicht aufdrängen wollte, ging ich jetzt meist mit einigen anderen Kindern baden, wobei es mich immer häufiger zu der steilen Felspartie hinzog, von der aus die etwas älteren ihre waghalsigen Sprünge ins Wasser machten. Direkt unterhalb des Felsens war der Fluss sehr dunkel, schattig und viel ruhiger als an anderen Abschnitten, in einigem Abstand zu dieser fast kreisrunden, glatten und in den Felsen hinein ragenden Fläche dagegen strömte er schnell, so dass sich die jüngeren Kinder, die sich noch nicht auf den Felsen wagten, dort einige Meter mittreiben ließen.
Das tat nun auch ich immer wieder und beobachtete dabei aus einer gewissen Entfernung die älteren, die nahe an den Felsen heranschwammen, ihn über eine schmale, kurvenreiche Fährte hinaufkletterten, sich oben zu mehreren auf dem Felsplateau versammelten und dann einer nach dem anderen heruntersprangen.
Ich hatte mir schon oft ausgemalt, wie schön es sein müsste, ebenfalls einmal von dort oben zu springen, als ich an einem Nachmittag von einem der älteren Kinder aufgefordert wurde, mit hinaufzugehen. Hast Du etwa Angst? , fragte der Junge und sagte, nachdem ich den Kopf geschüttelt hatte: Na dann komm mit hinauf!
Angst war ein Wort, das ich nicht mehr gerne hörte, denn dieses Wort hatte ich meine halbe Kindheit lang hören müssen. Der Junge hat ja eine solche Angst …, Seine Mutter hat noch immer Angst …, Die stehen vielleicht eine Angst aus …, Haben die etwa schon wieder Angst? – ich hatte alles, was mit der Angst zu tun hatte, in fast allen denkbaren Formulierungen geboten bekommen und schließlich selbst nicht mehr verstanden, warum anscheinend alles, was mit Mutter und mir zu tun hatte, immer wieder auf diese verdammte Angst hinauslief.
Hier, auf dem Land, hatte ich keine Angst, die Angst war bereits nach wenigen Tagen verschwunden und danach hatte es überhaupt keinen Grund mehr gegeben, sich ängstlich zu fühlen oder vor lauter Angst ein Versteck aufzusuchen. Nein, ich hatte
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