Die Erfindung des Lebens: Roman
mir in die Gaststube zurückging. Warum tat er das? Was hatten wir beide noch in der Gaststube zu suchen?
In der Gaststube kam es mir jetzt sehr dunkel vor, ich konnte Vater kaum erkennen, dann aber hörte ich ihn in der Dunkelheit sprechen: Das war wunderschön und großartig, Johannes! Du hast Deinem Vater gerade eine sehr große Freude gemacht! Alles, was wir hier auf dem Hof gemeinsam getan haben, war also nicht umsonst, nein, es war nicht umsonst. Manchmal habe ich, ehrlich gesagt, nicht mehr daran geglaubt, dass wir beide es schaffen, aber wir haben es doch geschafft. Du und ich, wir haben es geschafft, vor allem aber hast Du es geschafft! Wenn Du so weiter machst, kann Dir jetzt nichts mehr passieren! Wir sind über den Berg, Du kannst jetzt sprechen, lesen und schreiben! Ab jetzt wirst Du es allen zeigen …
Ich war so unglaublich stolz, dass mein Vater das sagte, und noch stolzer war ich darauf, dass er mit mir in die Gastwirtschaft gegangen war, um mir das alles nicht vor den Augen der anderen, sondern allein nur mir zu sagen. Wir beide hatten es geschafft, ja, wahrhaftig, wir beide, Vater und Sohn, hatten etwas Großes hinbekommen.
Ich war nun kein einsames, stummes und zurückgebliebenes Kind mehr, ich war ein Junge wie alle anderen, mit einem nicht mehr zu bändigenden, jahrelang unterdrückten, jetzt aber umso vehementer ausbrechenden Wissensdrang. Von nun an würde ich alles lesen, was mir unter die Augen kam, und von nun an würde ich alles aufschreiben, was ich an neuen Dingen sah. Ich war nun bereit, an die Volksschule zurückzukehren und es, wie Vater gesagt hatte, allen zu zeigen …
23
GESTERN NACHMITTAG bin ich nach meinem täglichen Schreibpensum wieder einmal Mariettas Mutter im Treppenhaus begegnet. Wir sind stehen geblieben und haben uns etwas unterhalten, und da wir gerade so leicht ins Gespräch geraten waren, nahm ich einen Anlauf und lud sie und ihren Mann zu einem Abendessen in meine Wohnung ein. Können Sie denn kochen? , fragte Mariettas Mutter, und ich antwortete, dass ich recht ordentlich kochen könne und dass sie keine Angst haben müsse, etwas Ungenießbares zu essen zu bekommen.
Sie lächelte, sie tat etwas scheu, und als sie weitersprach, verstand ich auch sofort, warum. Sie berichtete nämlich davon, dass sie nicht mehr mit ihrem Mann zusammenlebe, ihr Mann und sie lebten seit einiger Zeit getrennt, doch er kam alle paar Tage vorbei, um Marietta zu sehen und etwas mit ihr zu unternehmen.
Ich wusste nicht so recht, was ich darauf erwidern sollte, ich hatte ihren Mann beinahe noch häufiger als sie im Treppenhaus und zweimal sogar unten in der Buchhandlung im Parterre gesehen. Er hatte allerdings keinen Kontakt mit mir aufgenommen, sondern mich jedes Mal nur mit einem kurzen, aber freundlichen Nicken gegrüßt, jeder von uns war seiner Wege gegangen, wir hatten anscheinend beide keine Lust verspürt, uns miteinander bekannt zu machen.
Jetzt aber, nach der Auskunft von Mariettas Mutter über den bedauerlichen Zustand ihrer Ehe, verstand ich sofort, warum sich ihr Mann mir nicht vorgestellt hatte und nicht auf mich zugekommen war. Er war dabei, sich von dem Haus, in dem er vielleicht ein paar Jahre gelebt hatte, zu entfernen, deshalb wollte er keine neue Verbindung zu einem anderen Hausbewohner mehr aufnehmen und gewiss keine zu einem Fremden, von dem er nicht wusste, ob er sich nicht nur für kurze Zeit in Rom aufhielt.
Der Hinweis von Mariettas Mutter auf ihre Ehe führte im weiteren Verlauf unseres Gesprächs dann dazu, dass wir das Thema Einladung zum Abendessen gar nicht mehr berührten, das Thema hatte sich anscheinend von selbst erledigt, und so sprach ich auf mehrere Nachfragen hin von etwas anderem, wie zum Beispiel davon, dass ich kein Rom-Neuling sei, sondern in meinen Jugendjahren und später immer wieder längere Zeiten in Rom verbracht habe. Meine Erläuterungen schienen Mariettas Mutter zu interessieren, denn ihr Interesse ging weit über das übliche, höfliche Maß einer kurzen Konversation hinaus, ja sie fragte mich sogar danach, in welchen Gegenden Roms ich früher einmal gelebt und was mich in diesen vergangenen Zeiten nach Rom geführt habe.
Wir gaben uns schließlich die Hand, sie ging einige Stufen hinauf zu ihrer Wohnung, und ich ging hinab ins Freie und machte einen kurzen Abstecher in die Buchhandlung, die ich für eine der besten Buchhandlungen Roms halte. Ich widmete mich ein wenig dem belletristischen Sortiment und suchte nach
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