Die Erfindung des Lebens: Roman
trocknete mich ab, und ich gesellte mich nicht zu den vielen anderen Menschen, die von den Schreien meiner Mutter angelockt worden waren und sich nun um sie kümmerten.
Nachdem ich aufgetaucht war, war sie erst langsam wieder still geworden. Sie war vor Aufregung und Erschöpfung auf den Boden gesunken und hatte kurze Zeit später wegen ihres heftigen Zitterns von den anderen eine Decke umgelegt bekommen. Man hatte nach meinem Vater geschickt, der noch auf dem Feld gearbeitet hatte, schon bald aber zur Stelle gewesen war. Mutter war in die Gastwirtschaft gebracht und ins Bett gelegt worden, man hatte einen Arzt kommen lassen. Angeblich war sie bald eingeschlafen und hatte sehr fest geschlafen, so dass der Arzt unverrichteter Dinge wieder hatte abziehen müssen. Vater hatte die ganze Zeit an ihrem Bett verbracht, und als sie tief in der Nacht wieder aufgewacht war und eine Zeit lang mit ihm gesprochen hatte, kam er zu mir in mein Zimmer, setzte sich an mein Bett und sagte: Johannes, es ist alles in Ordnung! Deine liebe Mutter spricht wieder mit uns …
Die Walzer von Chopin liefen die ganze Zeit, als ich mich an all diese Szenen erinnerte. Ich räumte meine Küche ein wenig auf und ordnete die Lebensmittel, die ich gekauft hatte, immer wieder neu auf dem großen Küchentisch. Als ich sie in Ruhe überschaute, konnte ich erkennen, dass sie wohl für eine ganze Woche gereicht hätten. Warum hatte ich bloß so viel eingekauft und warum hatte ich mich nicht an die Idee eines schlichten Abendessens gehalten?
Das große Stillleben, das ich schließlich komponiert hatte, war derart schön, dass ich es Antonia und Marietta nicht vorenthalten wollte. Ich legte eine CD mit Stücken von Domenico Scarlatti auf und klingelte bei meiner Nachbarin, obwohl es noch früh am Nachmittag war. Antonia Caterino erschien in einem strengen, seidenen Morgenmantel in der Tür und vermutete, dass ich mich in der Zeit vertan habe. Ich sagte ihr, dass sie sich zusammen mit Marietta unbedingt all die schönen Sachen anschauen müsse, die ich am Vormittag gekauft habe. Sie lachte, sie verstand nicht genau, was ich meinte, vielleicht war ich auch etwas zu durcheinander, um mich klar auszudrücken. Jedenfalls sagte Sie: Kommen Sie doch erst einmal herein! , und dann betrat ich die Wohnung der Familie Caterino und hörte sofort, dass in einem der hinteren Zimmer der erste Satz des Italienischen Konzerts von Johann Sebastian Bach gespielt wurde.
Die Wohnung war viel größer und eleganter als meine, sie hatte vier Zimmer, von denen aus man auf den weiten Platz vor dem Wohnhaus schauen konnte, und dazu noch mehrere kleinere, die nach hinten, zum Innenhof hin, gingen. Antonia führte mich durch die vorderen, mit viel Geschmack möblierten, während sie die hinteren nur kurz erwähnte, als habe sich im einen Teil der Wohnung der schönere, im anderen aber der finstere Teil des Lebens abgespielt. Seltsamerweise brachte ich den hinteren Teil denn auch sofort mit ihrem inzwischen abwesenden Mann in Verbindung, ja die Vorstellung, dass dieser Mann in genau diesen Zimmern zum Innenhof hin gehaust habe, setzte sich wie eine dumme Fixierung sofort fest.
Im Grunde interessierte mich das alles aber nicht besonders, mich interessierte vielmehr das Klavierspiel, das ich die ganze Zeit hörte, nichts reizte mich jetzt so sehr, wie in die Nähe eines halbwegs gestimmten Klaviers zu geraten, mein Gott, mein Verhalten hatte sogar beinahe etwas von dem eines Süchtigen. Antonia bemerkte davon nichts, sie konnte ja nicht ahnen, was ich alles mit dem Klavierspiel verband, ich hörte sie fragen, ob wir nicht bereits einen Aperitif trinken wollten, und ich nickte sofort und sagte, dass ich gern einen Campari trinken und dabei am liebsten Marietta etwas beim Üben zuhören würde.
Antonia freute mein Vorschlag, sie führte mich auch sofort in das Zimmer ihrer Tochter, nehmen Sie doch Platz, flüsterte sie leise, und dann sah ich, dass ich direkt neben dem Klavier auf einem Sessel Platz nehmen sollte, auf dem anscheinend gerade noch Antonia selbst gesessen hatte, um das Spiel ihrer Tochter Marietta zu verfolgen und vielleicht hier und da zu korrigieren.
Ich setzte mich auf den Sessel und bemerkte sofort, dass mir in diesem Moment seltsam heiß wurde. In meinem ganzen Leben hatte ich keine Klavierschüler gehabt und niemanden im Klavierspiel unterrichtet, wohl aber war ich selbst ein Leben lang von den verschiedensten Klavierlehrerinnen und
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