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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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ich sofort nach, es hat mir sehr gefallen, wahrhaftig, Du hast mir damit eine große Freude gemacht, Marietta!
    Anders als ich befürchtet hatte, wirkte Marietta nicht beleidigt oder sogar gekränkt, sondern erleichtert, ja sogar zufrieden. Sehr gut, sie war also psychisch durchaus stabil und hatte auch noch nicht die üblichen Marotten pubertierender Mädchen, die es schaffen, jede kleine und noch so unschuldige Geste eines Gegenübers als eine Beleidigung auszulegen.
     
    Danke, sagte Marietta also, und dann bat sie mich, ihr und ihrer Mutter nun den ersten Satz des Italienischen Konzerts von Johann Sebastian Bach am Stück vorzuspielen. Am Stück?! Um Himmels willen! Das hatte ich nun wiederum gar nicht gewollt, ich hatte das Klavier zwar berühren, aber keineswegs am Stück auf ihm spielen wollen, schließlich war ich auf so etwas nicht vorbereitet, nein, wirklich nicht.
    Ich spürte aber sofort, dass es auch nicht gut angekommen wäre, sich jetzt noch lange zu zieren, ich hatte nun einmal von meinem früheren Pianisten-Dasein erzählt, da konnte ich jetzt nicht so tun, als koste es mich endlose Überwindung, ein Stück von Johann Sebastian Bach zu spielen. Ich habe das Stück verdammt lange nicht mehr gespielt, sagte ich und wusste noch in demselben Moment, dass all meine Entschuldigungen und Ausreden nicht halfen. Ich sollte spielen – und zwar sofort!
     
    Nun gut, was stellte ich mich denn so an, es handelte sich schließlich nicht um ein Konzert, sondern um eine private Vorstellung, da durften mir durchaus ein paar Fehler unterlaufen, darauf kam es jetzt gar nicht an, es kam vielmehr darauf an, Marietta und ihrer Mutter eine Freude zu machen. Als Einstimmung auf unser Abendessen! Oder vielleicht sogar als Beginn einer Freundschaft!
     
    Ich setzte mich, ich drehte den Klavierhocker etwas höher, ich legte beide Hände, so wie ich es gewohnt war, kurz auf die Tasten, ohne sie anzuschlagen. Dann konzentrierte ich mich und begann zu spielen.
     
    Es hörte sich gar nicht so schlecht an, ich spielte nur etwas zu schnell. Durch irgendwelche trüben Erinnerungen hatte ich eine sehr rasche Version des Stückes im Ohr, ja, wahrhaftig, ich spielte es viel rascher als etwa Alfred Cortot, vor allem aber spielte ich es lauter, ich spielte es wirklich verdammt laut. Aber ich spielte nicht schlecht, nein, keineswegs, dafür, dass ich dieses Stück seit Jahrzehnten nicht gespielt hatte, spielte ich es sogar ganz ausgezeichnet! Was für eine Freude es machte, diese Finger wieder genau dafür einzusetzen, wofür sie eigentlich seit meiner Kindheit bestimmt waren! Nicht für das Schreiben mit einem Stift, nicht für das Tippen auf einer Computer-Tastatur waren sie nämlich bestimmt, nein, Gott hatte mir diese kräftigen, schönen Finger geschenkt, damit ich mit ihnen Klavier spielte!
     
    Meine Finger … – später hat mir Antonia auf meine Nachfrage hin einmal erklärt, dass sie mich nach einem angeblich zufälligen Blick auf meine Finger für einen Pianisten gehalten habe. Die Finger hatten mich also dazu gemacht, nicht mein sonstiges Äußeres! Ich wäre nie darauf gekommen, dass meine Finger das entscheidende Kriterium für diese Vermutung gewesen waren, so ein spezifisches Merkmal fiel wohl vor allem einer genau beobachtenden Frau und bestimmt nicht häufig einem Mann auf.
    Jetzt, während meines Spiels, aber verstand ich nicht mehr, wie ich nicht selbst darauf gekommen war. Diese Finger waren doch wirklich auffällig, sie waren auch in früheren Jahrzehnten manchen Menschen sofort aufgefallen, zum Beispiel hier in Rom einer jungen Frau hinter der Theke einer kleinen Bar im Norden Roms, die mich bei meinem zweiten Besuch dieser Bar gefragt hatte, ob ich etwa ein Pianist sei. Diese Frage hatte damals …, nein, ich erzähle diese Geschichte hier jetzt nicht weiter, nein, auf keinen Fall, ich erzähle vielmehr jetzt, was in der Wohnung von Antonia und Marietta Caterino geschah, als ich den ersten Satz von Bachs Italienischem Konzert spielte …
     
    Nach drei oder vier Minuten bemerkte ich nämlich plötzlich, dass Antonia ans Fenster ging und es öffnete. Sie strich die weißen Gardinen beiseite und dann ging sie auf Zehenspitzen anscheinend ins Nebenzimmer, um auch dort die Fenster zu öffnen. Da wir uns im ersten Stock des Wohnhauses befanden, musste mein Spiel nun auch draußen, auf dem weiten Platz, zu hören sein, sie hätte mich fragen müssen, ob mir das recht ist, dachte ich und überlegte, ob ich mein Spiel

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