Die Erfindung des Lebens: Roman
damit durch war, spielte ich sie noch zwei-, dreimal, und jedes Mal spielte ich ein wenig schneller. Und schau mal, Marietta, genau dieselben Probleme hast Du wegen eines falschen Fingersatzes an dieser Stelle …
Ich geriet sofort in Fahrt und ging eine Stelle nach der andern an, viel hätte nicht gefehlt, und ich hätte meine Korrekturen sofort in die Noten eingetragen, in die eine unbeholfene Hand keine Fingersätze, wohl aber einige Angaben über die jeweils notwendige Lautstärke eingetragen hatte. Unwillkürlich schüttelte ich den Kopf, anscheinend hatte Marietta wirklich einen miserablen Lehrer, der sich statt um die durchaus wichtigen Fingersätze um Angaben über die Lautstärke kümmerte, die jeder einigermaßen musikalische Spieler gar nicht benötigte, weil sie sich von selbst verstanden.
Vielleicht hatten Marietta und Antonia erwartet, dass ich mir nur zwei oder drei kurze Passagen vornehmen wollte, da hatten sie sich verrechnet, denn natürlich genoss ich es sehr, endlich wieder einmal Klaviertasten zu berühren. Als ich gar nicht mehr aufhörte, stand Marietta auf und verließ das Zimmer, ich unterbrach mein Spiel und fragte Antonia, ob ich das Kind etwa langweile, na ja, antwortete sie , vielleicht wäre es besser gewesen, Marietta zunächst einmal für ihr Spiel zu loben.
Ich nahm einen Schluck Campari und antwortete: Mein Gott, Sie haben völlig recht, ich bin ein Idiot, ich hätte Marietta zunächst loben müssen, anstatt gleich über die falschen Fingersätze zu sprechen. Aber einmal unter uns: Die Fingersätze sind wirklich das Letzte, und die Angaben für die Lautstärken hier in den Noten sind geradezu kindisch. Ich an Ihrer Stelle würde dem Kind einen besseren Klavierlehrer besorgen.
Antonia lächelte wieder, aber ich bemerkte, dass sie leicht verkrampft lächelte. Und dann sagte sie: Ichbin ihr Klavierlehrer, ich bin es selbst!
Ich drehte mich auf dem runden Klavierhocker ganz zu ihr herum und ließ meine Arme an beiden Seiten des Körpers heruntersinken. Entschuldigen Sie, Signora, ich wollte Sie nicht kränken, und ich kann zu meiner Ehrenrettung nur anführen, dass ich keineswegs ein paar Jahre Klavierunterricht erhielt, sondern ein paar Jahrzehnte, so dass ich, mit anderen Worten, ein ausgebildeter Pianist bin. Zum Teil wurde ich sogar hier in Rom ausgebildet, kaum einige Kilometer von hier, im römischen Conservatorio. Ich rede also nicht einfach daher und mokiere mich über Fingersätze oder Lautstärken-Angaben, sondern ich spreche als ein Mann vom Fach. Dennoch, Sie haben recht, ich hätte das nicht tun sollen, ich hätte feinfühliger und freundlicher vorgehen müssen, es tut mir leid.
Ich stand auf, um mich vom Klavier zu entfernen, als Antonia eine entschiedene Bewegung machte, die mich stehen bleiben ließ. Sie antwortete, dass sie natürlich keine Ahnung von alldem gehabt habe und dass sie meine Reaktion unter diesen Umständen verstehe. Jetzt, wo sie über mein Vorleben Bescheid wisse, erinnere sie sich sogar daran, dass sie einmal vermutet habe, dass ich gut Klavier spielen könne. Ich habe nämlich in ihren Augen wie ein Pianist ausgesehen, ja, genau, ich habe auf sie den Eindruck eines Pianisten gemacht.
Ich konnte mir nicht richtig ausmalen, welche Vorstellung Antonia Caterino von einem Pianisten hatte, vor vielen Jahrzehnten hatte man sich darunter doch eher ephebische Jünglinge mit einer dekadenten Liszt-Mähne und damit einen Typus vorgestellt, mit dem mein Äußeres nicht das Geringste gemein hatte. Ich war groß, kräftig und in extremen Sonnenperioden zudem noch blond – man hätte mich vielleicht auch für einen norwegischen Speerwerfer oder einen finnischen Filmregisseur halten können, wie man aber auf den Gedanken kam, in mir einen Pianisten zu vermuten, war mir völlig unklar.
Egal, ein wenig fühlte ich mich sogar geschmeichelt, anscheinend hatte Antonia sich über mich und mein Vorleben ein paar Gedanken gemacht, so etwas gefiel mir schon allein deshalb, weil sich viele Jahre meines Lebens kein Mensch irgendwelche Gedanken über mich und mein Leben gemacht hatte.
Was meinen Sie, wie kann ich meinen Fehler wiedergutmachen?, fragte ich Antonia. Sie legte einen Finger auf ihren Mund, stand auf, verließ das Zimmer und kam nach kaum einer Minute wieder mit ihrer Tochter zurück. Sie sagte, dass sie Marietta erzählt habe, dass ich einmal Pianist gewesen sei, und dann sagte sie weiter, dass mir Mariettas Spiel gut gefallen habe. Aber ja , setzte
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