Die Erfolgsmasche
Mund ist ganz trocken. Ich glaube, mir wird schlecht.
Nein, im Gegenteil! Mein Magen, der eben noch rebelliert hat, fühlt sich auf einmal so … Bilde ich mir das nur ein, oder streichelt Richard wirklich ganz sanft meinen Daumen? Genau wie damals, als wir zusammen auf Gut Teufelberg auf der Bank saßen? Es ist wie eine Geheimsprache. Seine Haut spricht zu mir. Endlich! Endlich ist der Bann gebrochen! Ich verschränke meine Finger mit den seinen. Ein riesengroßes Glücksgefühl überflutet mich. Ach, was soll’s! Im Grunde ist es doch ganz egal, ob der Schlager-Fuzzi den Ruhm für sich allein haben will! Was wirklich zählt, ist die Liebe! Ein Gefühl, von dem Tom Konrad nur träumen kann! Ich blicke zur Seite und sehe Richard in die Augen. Sein Blick ist warm und voller Zärtlichkeit.
»Danke«, flüstere ich und lächle ihn unter Tränen an. »Bitte entschuldige, dass ich dich in so ein Fegefeuer der Eitelkeiten geschleppt habe! Bitte lass uns diese Nummer hier durchziehen und dann verschwinden!«
In diesem Moment geht ein Raunen und Schreien durch die Menge, und alle Gesichter wenden sich dem knallblauen Himmel zu, wo ein Hubschrauber über unseren Köpfen kreist. Werner Gern stürzt mit wehenden Haaren auf die Dachterrasse und schüttelt bedauernd den Kopf, als er meinen fragenden Blick sieht. »Nix zu machen«, brüllt er gegen den Lärm an.
Ich drücke Richards Hand ganz fest. Er erwidert den Druck. Wir können uns nicht mit Worten verständigen, der Lärm, mit dem der knatternde Propeller die Luft zerreißt, ist einfach zu groß.
Mit Getöse landet der Hubschrauber, und unsere Haare und Jacken flattern im Wind. Ich muss die Augen zukneifen, weil sie wie verrückt tränen. Ich verberge mein Gesicht an Richards Brust und fühle seine Hand schützend auf meinem Hinterkopf. Endlich rotieren die Propeller langsamer, der Lärm verebbt, der Wind wird schwächer. Die Leute unten auf dem Vorplatz halten den Atem an. Der sanfte Druck von Richards Hand lässt unmerklich nach, seine Hand gleitet auf meinen Rücken.
Egal, denke ich. Egal, was jetzt passiert. Ich habe diesen Mann. Ich liebe ihn. Wir haben zusammengefunden. Er hat mir verziehen. Wie auch immer diese Farce hier weitergeht, wir werden Hand in Hand nach Hause gehen.
Schließlich entsteigt dem Hubschrauber mit wehendem Toupet der große berühmte einzig wahre Tom Konrad. Er trägt ein weißes Hemd über engen schwarzen Jeans, und ich muss beeindruckt zugeben, dass er sich für sein Alter gut gehalten hat.
Die Leute unten auf dem Platz brechen in frenetischen Jubel aus. Kameras, Handys und Aufnahmegeräte werden hochgereckt. Man könnte meinen, man wäre beim Ostersegen in Rom.
Wut keimt in mir auf. Ich will, dass mein Richard genauso in Szene gesetzt wird! Darauf muss ich als seine Managerin bestehen! Er ist viel zu bescheiden! Wenn man mit der Linienmaschine in der Economyclass anreist und durch den Hintereingang gekrabbelt kommt, kann man natürlich keinen solchen Eindruck schinden! Obwohl die Fans ihn begeistert begrüßt haben - gegen Tom Konrad ist er ein C-Promi. Meine Augen suchen Richard, der dicht neben mir steht. Er lächelt mich zärtlich an, und Millionen Härchen auf meiner Haut stellen sich auf.
Eines ist unbestreitbar: Richard ist halb so alt wie Tom Konrad. Und er sieht doppelt so gut aus.
Tom Konrad winkt gespielt bescheiden und greift huldvoll lächelnd zum Mikrofon, das Werner Gern ihm reicht. Sofort tritt Stille ein.
»Liebe Fans, liebe Anhänger meiner Musik«, sagt Tom Konrad mit sonorer Stimme, die sofort auf dem Platz aus verschiedenen Lautsprechern widerhallt. »Ich darf Ihnen heute mein Lebenswerk vorstellen. Die große Tom-Konrad-Lovestory! Vierundzwanzig meiner unsterblichen Welthits sind darin untergebracht und erzählen die Geschichte eines kleinen Jungen, der von seinen Eltern in ein Internat gesteckt wird, dort lernt, wer er ist und wofür es sich zu kämpfen lohnt. Er begegnet der Liebe, aber auch den Herausforderungen des Lebens. Diese Geschichte ist meine ganz persönliche Geschichte.«
Richard und ich schauen uns fragend an. »Hä?«, mache ich erzürnt, und Richard drückt mich an sich und sagt: »Lass den alten Knacker doch.«
»Auch ich habe mich schon als kleiner Junge ganz allein mit meiner Mundharmonika in der Welt der Nachkriegszeit zurechtfinden und behaupten müssen. Auch ich wurde von meinen Eltern verlassen, war auf mich selbst gestellt. Auch ich lernte dann die Liebe kennen, und auch mir ist es
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