Die Erfolgsmasche
Werner Gern nimmt sich ganz nebenbei ein paar Nüsschen und vertilgt sie genüsslich. Ich kenne schätzungsweise hundertdreiundzwanzig Männer, denen ich nicht beim Nüsschenkauen zusehen will. Aber bei Werner Gern macht es mir nichts aus. Im Gegenteil.
»Weil er keine Frau hat?«
»Und wieso hat er keine Frau - ich meine, bei seinem Aussehen?«
»Weil er so seine Ansprüche hat?«
Also das geht jetzt gar nicht. Meine Knie werden weich. Hoffentlich fragt er mich jetzt nicht, in welcher Beziehung ich zu Sebastian Richter stehe. Ich bin seine Agentin, und ich sollte dringend die Fäden in der Hand behalten. »Wie stellen Sie sich denn nun die Zusammenarbeit mit uns vor?«, frage ich hastig, um seinem prüfenden Blick auszuweichen. Dabei nehme ich mir auch eine großzügige Handvoll Nüsschen.
»Uns?« Werner Gern hebt fragend eine buschige, rotbraune Augenbraue.
»Ja. Mit Sebastian Richter und mir. Er ist der kreative Kopf, und ich erledige das Geschäftliche.«
Ich räuspere mich, kaue und stelle das Glas ab.
»Ich dachte an das gleiche Erfolgsschema wie bei ›Mamma Mia‹«, sagt Werner Gern, und nun kommt richtig Leben in den Mann. »Die Hits der Gruppe ABBA waren ja schon weltweit bekannt, als eine Hausfrau in England den Auftrag bekam, diese Hits mit einer Handlung zu verbinden. Sie hat sich mit ihrer Idee übrigens gegen fünfundzwanzig Mitbewerber durchgesetzt.«
Ich staune.
»Sie kennen die Handlung?«
Natürlich, Mann! Ich war dreimal in dem Film und zweimal in dem Musical!
»Die griechische Insel und die drei möglichen Väter?«, stelle ich mich blöd.
»Genau. Das junge Mädchen lädt alle drei möglichen Väter ohne das Wissen der Mutter zu ihrer Hochzeit ein. Durch die unterschiedlichen Charaktere dieser Männer gelingt es der Autorin, sämtliche Liebesschnulzen der Gruppe ABBA in der Handlung unterzubringen.«
»Eine englische Hausfrau?«, hake ich nach.
»Ja. Wussten Sie das nicht? Eine alleinerziehende Mutter. Die saß am Küchentisch und hat diese Geschichte erfunden. Jetzt ist sie schätzungsweise mehrfache Millionärin.«
Ich bekomme ganz feuchte Hände.
»Und an wessen Lieder haben Sie für das Kindermusical gedacht? Ich meine, gibt es die schon? Lieder komponieren kann ich nämlich wirklich nicht.«
»Sie?« Werner Gern sieht mich fragend an.
»Ähm, Quatsch! Sebastian Richter«, lache ich eine Spur zu schrill. »Wenn ich ›ich‹ sage, meine ich ihn.«
»Sie scheinen sich ja wirklich sehr nahezustehen.« Täusche ich mich, oder nimmt Werner Gern eine andere Haltung ein? Irgendwie zieht er die Beine an und verschränkt plötzlich die Arme vor der Brust.
»Die Musik gibt es schon. Genau wie damals die ABBA-Songs. Die Handlung müsste passend dazu erfunden werden.«
»Und von wem ist die Musik?« Ich werde ganz aufgeregt.
»Tom Konrad«, sagt Werner Gern. Sein Blick ist prüfend auf mich gerichtet. »Kein Geringerer als er.«
»Aha«, sage ich schnell. »Tom Konrad …« Ich verstumme
verwirrt. Habe ich den nicht vor Kurzem noch am Promi-Tisch in München gesehen? Und mich gewundert, dass er noch lebt?
In Werner Gerns Augen tritt ein temperamentvoller, ja leidenschaftlicher Ausdruck. »Wir haben uns lange überlegt, wessen Schlager wir als musikalische Basis für unser Musical verwenden sollen. Tom Konrad kennt jeder in Deutschland, seine Lieder kann jeder Vierjährige im Kindergarten genauso auswendig mitsingen wie die neunzigjährige Oma im Altersheim.«
Ich schaue ihn einen Moment lang ungläubig an. Dann muss ich ihm recht geben. Ich nicke beeindruckt. Ich selbst gehöre zwar nicht zu seinen Fans, könnte aber auf Anhieb ein Dutzend seiner Lieder pfeifen.
»Tom Konrad ist laut einer Umfrage der beliebteste Schlagersänger Deutschlands. Wussten Sie das?«
»Nein.« Ich nehme noch einen Schluck Champagner. »Ehrlich gesagt, habe ich solche Schlager nie aktiv gehört. Von klein auf liebe ich klassische Musik.«
Werner Gern sieht mich sehr intensiv an.
»Aber Sie kennen die Lieder! Wie jeder, der nach 1930 geboren ist!«
Um ehrlich zu sein, fühle ich mich ein bisschen seltsam. Das hier muss ein ganz großer Wurf werden, so wie Werner Gern sich ins Zeug legt … Da soll ich nun … Ich meine, da soll Sebastian Richter … Ich stelle das Glas ab und richte mich auf. Na und? Ich bin total flexibel! Oder habe ich das immer noch nicht unter Beweis gestellt?
»Mit dem Lied ›Bleib bei mir, Papa‹ ist Tom Konrad als Sechsjähriger über Nacht berühmt geworden. Da
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