Die Erfolgsmasche
verlassen.
»Hundertvierzig Minuten«, wiederholt Werner Gern herausfordernd. »Das kriegt Ihr Mann doch hin!«
Ich atme hörbar aus. »Hundertfffff … mit oder ohne Applaus?«, frage ich schüchtern. Mir wird auf einmal ganz schwindelig. Plötzlich bin ich so erschöpft, dass mir kein einziges Wort mehr einfällt. Die Nummer hier ist mir eindeutig zu groß! Ich will doch nur spielen!
Er grinst. »Big Applause! Jede einzelne Szene muss ein Knaller sein.«
Hat er es etwa immer noch nicht geschnallt? Dass ich ihm die ganze Zeit etwas vorspiele?
»Das ist … selbst für einen Sebastian Richter … in diesem
Zeitraum …«, ringe ich mir von den Lippen. »Ich fürchte, das wird er nicht schaffen. Ich meine, er hat ja auch noch die Kinder, den Haushalt und das ganze … ähm …Drumherum. Er müsste schon auf eine einsame Insel fahren, um das zu schaffen.«
Werner Gern nickt und mustert mich eindringlich. »Mit Ihrer Hilfe schafft er das.«
So schnell ich kann, greife ich zu meinem Glas. Es ist so gut wie leer. Wie peinlich! Es ist mir unmöglich, diesem gutgläubigen Produzenten in die Augen zu sehen. Das Schlimme ist: Ich finde ihn richtig sympathisch. Er ist so gütig und aufbauend … Er tut mir so gut! Was für ein Gegensatz zu dieser kalten, verlogenen Schnepfe Carmen Schneider-Basedow! Wie gern würde ich für Werner Gern arbeiten! Am liebsten würde ich mich an seine breite Brust werfen und alles beichten.
Gott, ich muss mir auf die Zunge beißen. Schließlich bin ich hier, um für Sebastian Richter einen guten Vertrag auszuhandeln. Ich reiße mich zusammen. Wie hat Alex gesagt? Mama, du bist doch ein heller Kopf! Ich bin Hella Kopf! Von so einem Angebot träumen Millionen von schreibenden Hausfrauen, wie ich eine bin!
»Das ist natürlich eine Wahnsinnsarbeit«, stottere ich und versuche mit allen Mitteln, meine schwankende Stimme im Zaum zu halten. »Eine Handlung so zu führen, dass sie an vierundzwanzig Tom-Konrad-Schlagern vorbeigleitet …« Versonnen knabbere ich auf meinem Daumennagel herum.
»Nicht vorbei«, verbessert mich Werner Gern und fährt sich mit dem Zeigefinger über das Grübchen auf dem Kinn. »Mitten hinein. Wie ein Schnellzug in jeden neuen Bahnhof. Da darf die Handlung dann knapp drei Minuten verweilen.«
»Hm«, lasse ich so besorgt vernehmen, wie ich tatsächlich bin. »Das hemmt natürlich die Fantasie des Autors, weil er
sich ja immer wieder an diese Tom-Dingsbums-Schlager halten muss. Die ja vom Text her nicht sehr viel Tiefgang haben …«
»Dafür wird der Autor ja auch sehr gut bezahlt«, sagt Werner Gern lächelnd. »Dass er der Sache mehr Tiefgang gibt. Wir brauchen seinen Witz und seinen Ideenreichtum, um die verstaubte Tom-Konrad-Kiste mit neuem Leben zu füllen. Da gibt es für uns nur einen: Sebastian Richter.«
Ich vergrabe das Gesicht in den Händen und tue so, als müsste ich über Sebastian Richter nachdenken. Dabei bricht mir der kalte Angstschweiß aus. Ich muss irre sein. Das läuft nicht. Das läuft nie. Ich meine, wie soll ich das schaffen? Mein Schreibtisch steht mitten im Wohnzimmer in einer kleinen Wohnung unterm Dach, in der die Kinder ständig Chaos anrichten. Alex macht Abitur, er braucht mich, ich muss auf ihn Rücksicht nehmen! Mit der wöchentlichen Kolumne von Sebastian Richter bin ich komplett ausgelastet! Es geht uns wieder gut! Und außerdem: Ich bin nun mal keine ausgefuchste Agentin. Ich kann das nicht.
Eine Weile sagt niemand etwas, man hört nur das dezente Gläserklirren von den Nachbartischen. Ja, das hier ist eine Welt, in die ich nicht gehöre. In diese Sphären kann ich mich nicht durch eine Lüge katapultieren. Ich sinke erschöpft in meinem Plüschsessel zusammen.
Plötzlich bekomme ich einen Adrenalinstoß, der mich aus meinen trüben Gedanken reißt: Habe ich mir nicht sehnsüchtig gewünscht, endlich mal einen vernünftigen Auftrag zu bekommen? Ich war wochenlang arbeitslos ! Nutzlos, wertlos, tatenlos! Ich habe Klinken geputzt, Bettelbriefe geschrieben, ins Telefon geheult, um einen Job gebettelt! Ja, was denn jetzt? »Nur die Harten komm’ in’ Garten«, höre ich Frau Dauer sagen. Brust raus, Bauch rein!
Ich setze mich aufrecht hin und straffe die Schultern.
»Über eines sollten wir als Erstes reden«, reagiere ich endlich. »Über das Finanzielle nämlich, denn deshalb bin ich ja angereist. Und davon hängt letztlich auch ab, ob ich Sebastian Richter die Sache schmackhaft machen kann.« Ich mache einen besorgten
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