Die Erfolgsmasche
nämlich mal ausborgen. Nicht dass Sie glauben, ich wollte was von ihm. Es ist nur so, dass ich ihn … benutzt habe. Zu beruflichen Zwecken. Und dass ich ihn nun anflehen muss, mein abgekartetes Spiel mitzuspielen. Doch irgendwie bringe ich es einfach nicht über die Lippen.
Elviras Augen haben sich verengt, als würde sie ihre großzügige Geste bereits bereuen. »Sie sind eine halbe Stunde zu spät gekommen! Wir konnten nur noch eine halbe Stunde üben! Ich habe Sie aber für eine ganze Stunde engagiert!«
»Äh … in Ordnung«, stoße ich schwach hervor. »Ich meine, für diese Probestunde nehme ich erst mal überhaupt kein Geld. Schließlich müssen wir beide ja erst mal schauen, ob die Chemie stimmt.«
»Für mich stimmt sie«, sagt die Baronin, schreitet energisch auf mich zu und steckt mir den Fünfziger in die Jackentasche. »Und beim nächsten Mal wissen Sie ja, wie weit der Weg ist, und finden pünktlich her. Da wird der liebe Richard aber schauen, wenn ich ihm den Schubert vorspiele! Und den Brahms. Vielleicht können wir schon bald den Sommernachtstraum von Mendelssohn einstudieren. Den lieben meine Tiere besonders. Weil das so ein filigranes Werk ist, das
im Wald spielt. Nicht wahr, meine Moppel? Eduard mag übrigens am liebsten den Hochzeitsmarsch.«
Mich überläuft es heiß. Ich will irgendwas Unbekümmertes, Fröhliches sagen, aber mir fällt nichts ein. Vielleicht möchte Eduard bald heiraten?
Sie geleitet mich freundlich, aber bestimmt durch den dunklen Flur zur immer noch offen stehenden Haustür und sagt: »Eduard, lass die Dame vorbei.«
Das Schwein rappelt sich mühsam auf und schleppt sich einen Meter weiter, wo es wieder unter seinen Fettmassen zusammensackt.
»Kommen Sie mal zu einer Führung, wenn Sie Lust haben«, sagt Elvira freundlich, als sie sieht, dass ich meinen Blick über ihre Tierwelt schweifen lasse. »Und vielleicht übernehmen Sie sogar für eine Ziege die Patenschaft.«
Ich starre sie einen Moment lang an wie ein Schaf, doch mir fällt keine passende Ausrede ein.
»Also, ich bin froh, wenn ich meine eigenen Kinder ernähren kann«, platzt es plötzlich aus mir heraus. »Und ein Kuckuckskind füttere ich auch noch mit durch.«
Ich kann förmlich zusehen, wie der Baronin ein Licht aufgeht. Sie sieht mich mitfühlend an und sagt: »Deswegen müssen Sie sich mit Klavierstunden durchschlagen!« Sie legt einen Finger an die Lippen, zieht einen zweiten Fünfziger aus ihrer Tasche und stopft ihn mir in die Jeanstasche.
»Nein«, sage ich rasch. »Das meinte ich nicht … Ich will nur nicht … noch eine weitere Ziege.«
»Machen Sie sich keine Sorgen«, unterbricht mich die Baronin, während sie mich mitsamt meinen leicht verdienten hundert Euro zu meinem geleasten Kleinwagen schiebt. »Hauptsache, Sie kommen wieder. Ich werde so lange üben, bis meine Tiere zufrieden mit mir sind.« Sie lächelt verschmitzt,
klopft auf mein Autodach und verschwindet in Richtung Haus - gefolgt von einem Dutzend Ziegen, Schafen, Schweinen und Lämmern.
So einen merkwürdigen Auftritt hatte ich schon lange nicht mehr erlebt. Aber wie dem auch sei - Hauptsache, ich habe ihn gefunden.
Meinen Sebastian Richter.
19
Tag und Nacht träume ich von ihm. Ist das nicht Wahnsinn? Wenn ich an den Mann denke, der keine dreihundert Meter von mir entfernt im Festspielhaus sitzt und die Sänger beim Üben am Klavier begleitet, wird mir ganz anders. Ich habe ihn ausgesucht. Ohne ihn zu fragen, ob er das will. Mehr noch, ich habe ihn mir ausgeborgt. Für meine beruflichen Zwecke. Die Wahrheit ist: Ich habe ihn mir einfach … genommen!
Noch habe ich es nicht gewagt, Richard aufzuspüren. Aber ich weiß jetzt, wer er ist! Wie er heißt, was er macht und wo ich ihn finden kann!
Vor unserer ersten Begegnung brauche ich dringend noch eine neue Frisur, vielleicht ein paar frische Strähnchen und neue Klamotten. Was hat Elvira gesagt? Er wird von seinen Chordamen angehimmelt. Wie soll ich es da schaffen, sein Interesse zu wecken?
Auf einmal hat die ganze Sache Zeit. Bin ich etwa … feige? Habe ich Angst, er könnte mich auslachen, zurückweisen, ja sogar böse auf mich sein? Meine schlimmste Befürchtung ist die, dass er mich ignorieren könnte. Ich meine, er arbeitet mit einem Damenchor! Sicher schläft er mit allen … war da nicht was mit »Besetzungscouch«? Diese Vorstellung versetzt mir einen schmerzhaften Stich.
Ich werde zuerst noch ein paar Erkundigungen über ihn einholen. Es ist wichtig, dass
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