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Die Erfolgsmasche

Titel: Die Erfolgsmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Maria dreht und wendet die Autogrammkarte ratlos in ihren Händen. »Für Maria Sendlinger mit ganz lieben Wünschen«, liest sie die Widmung vor. »Von Sebastian Richter!«
    Ich senke den Blick. »Das habe ich geschrieben«, würge ich tonlos hervor. »Nicht böse sein, Maria. Ich wollte dich wirklich nicht kränken. Ich wusste ja nicht, dass wir uns einmal begegnen würden …« Ich schlage mir die Hand vor den Mund. Was rede ich denn da?
    Plötzlich wird mir klar, dass ich einer fast vollkommen Fremden mein Geheimnis verraten habe! Warum kann ich bloß meine verdammte Klappe nicht halten? Was ist, wenn ich ihr nicht vertrauen kann?
    Meine Gedanken rasen. Sie könnte im Verlag anrufen und mich verpfeifen. Sie könnte meine mühsam erlogene Existenz ruinieren. Warum bin ich so vertrauensselig? Ich schaue Maria prüfend von der Seite an. Wird sie … Könnte sie ein Interesse daran haben … Ich fasse mir mit beiden Händen an den Kopf. Aber dann spüre ich wieder Marias beruhigende Ausstrahlung: Diese Frau ist keine Intrigantin, keine Tratschtante, keine Wichtigtuerin. Sie will mir nichts Böses. Im Gegenteil.

    Nein, ich muss nicht an ihr zweifeln.
    Maria hingegen hätte allen Grund dazu. Das muss ein schrecklicher Schock für sie sein. Die Mutter des Mädchens, das ihr Sohn liebt, die Frau, mit der sie soeben freundschaftliche Bande geknüpft hat, ist eine eiskalte Betrügerin! Oh Gott. Ich schäme mich vor ihr.
    Auf einmal bin ich den Tränen nahe. Erst jetzt wird mir bewusst, wie viele Frauen Sebastian Richter vertrauen. Sie haben ihm Koch- und Backrezepte geschickt, ihm Tipps gegeben, wie man Kalkreste in der Badewanne beseitigt, Brombeeren einweckt und Bettwäsche weichspült. Sie haben ihm Liebesbriefe geschickt, Schokolade, Kuchen, Kekse und Anregungen fürs Serviettenfalten - und zwar nur, weil sie davon ausgingen, dass sie es mit einem Mann zu tun haben. Einer Frau hätten sie niemals ihre Hilfe angeboten. So grotesk und beschämend die Situation ist: Sie dürfen es nie erfahren!
    »Ich habe alle seine Kolumnen gesammelt …« Maria springt schon wieder auf und läuft ins Haus. Mit einem Stapel Seiten aus Frauenliebe und Leben kommt sie zurück. Sie schlägt fassungslos mit der flachen Hand darauf: »Ich habe sie gemeinsam mit meinen Schwestern und meiner Mama gelesen! Wir sind begeistert von dem Mann!«
    »Er ist nun mal kein Mann«, korrigiere ich sie vorsichtig. »Kannst du dich eventuell an den Gedanken gewöhnen, dass Sebastian Richter eine Frau ist? Die zufällig gerade vor dir sitzt? Die die gleichen Sorgen und Probleme hat wie du, deine Schwester, deine Mama und all die hunderttausend Leserinnen? Gerade weil sie eine Frau ist?«
    Stumm starrt Maria mich an. Ich werfe einen verstohlenen Blick auf die oberste Kolumne. Es ist die, die ich vor einem Monat geschrieben habe. Über den dringenden Wunsch meiner Tochter nach einem Hund. Ohne dass meine Tochter -
Verzeihung, Sebastian Richters Tochter - auch nur freiwillig einen Fuß vor die Tür setzen würde. Früher strafte man Kinder mit Stubenarrest. Heute straft man sie damit, rausgehen zu müssen. Sie und ihr Klon wollen trotzdem einen Hund. Der sich - genau wie ihre Computergefährten - in Luft auflöst, wenn sie ihn wegdrücken. Wenn sie schon nicht fähig oder willens sind, eine schmutzige Tasse in die Spülmaschine zu stellen oder ein nasses Handtuch aufzuheben - wie viel Lust haben sie wohl dazu, Hundehäufchen zu beseitigen?
    Auf diese Kolumne hat Sebastian Richter Hunderte von Leserbriefen bekommen. Mindestens zwanzig davon enthielten den Vorschlag, sich ihren eigenen Hund erst mal als Leihund Probehund auszuborgen. Die Verfasserinnen dieser Briefe boten sich ausnahmslos an, mit Sebastian Richter und dem Hund lange Spaziergänge zu machen!
    »Wie wäre es jetzt mit einem Schlückchen Prosecco?«, frage ich hastig. Ich habe welchen mitgebracht, er ist in der Kühlbox im Kofferraum. »Auf die Liebe unserer Kinder«, füge ich betont fröhlich hinzu, »und auf die kleinen Lebenslügen.«
    Als wir wenig später mit unseren Sektgläsern nebeneinander in der untergehenden Sonne sitzen, fragt mir Maria Löcher in den Bauch. Sie ist mir zum Glück nicht ernsthaft böse, dass ich sie und Hunderttausende anderer Leserinnen so skrupellos hinters Licht geführt habe. Inzwischen findet sie die Sache sogar wahnsinnig spannend. Stadtmaus und Landmaus sitzen im Gras und erzählen sich was.
    »Und was machst du jetzt mit diesem Mann?« Sie zeigt auf das Foto.

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