Die Erfolgsmasche
Hoffentlich fand sie das nicht dreist von mir. Aber ich musste mal ganz schnell das Thema wechseln.
Sie streicht sich über das lange rötliche Rapunzelhaar. Ihr Gesicht bekommt ganz weiche Züge. »Weil ich meinen Tieren etwas vorspielen will«, sagt sie seltsam zärtlich. Sie sieht mich so verträumt an, dass ich einen Kloß im Hals bekomme. »Richard wollte das nicht.« Sie schenkt mir einen vielsagenden Blick.
Habe ich sie richtig verstanden?
»Sie wollen den Tieren etwas vorspielen?«, hake ich vorsichtig nach.
»Das sind sensible, tief traumatisierte Lebewesen«, entgegnet die Baronin mit Nachdruck. »Sie sollten alle geschlachtet werden. Ich habe sie in letzter Sekunde gerettet. Manche hatten schon einen Strick um den Hals! Jacob, das Eichhörnchen, saß in einer Wildererfalle! Ich habe ihn monatelang am Busen getragen. Damit er sein Trauma überwindet. Nur stillen konnte ich ihn nicht.« Sie kämpft mit den Tränen. »Auf Gut Teufelberg sollen sie sich wie im Paradies fühlen. Ich möchte ihnen Liebe und Zuwendung geben.«
Sie spricht so langsam und deutlich, als spräche sie mit einem kompletten Idioten. Wahrscheinlich gucke ich auch so.
»Sie brauchen Musik. Sie brauchen das Gefühl, in guter Obhut zu sein. Sie müssen das Vertrauen in das Wahre, Schöne und Gute zurückgewinnen.«
Sind Sie sicher?, möchte ich fragen. Oder sind Sie einfach nur durchgeknallt? Glauben Sie im Ernst, dass dieses träge Schwein da draußen Ihre Fingerübungen genießen will? Oder die vielen Katzen, die hier auf Ihren Brokatsesseln pennen? Und überhaupt: Seit wann werden in Österreich Katzen geschlachtet? Vielleicht werden die Ziegen und Schafe da draußen von Ihrem Geklimper erst recht traumatisiert. Ganz zu schweigen von dem einzigen musikalischen Wesen hier auf dem Gut, diesem Eichhörnchen und seinem Béla Bartók.
»Können Sie mir das mal vorspielen?«, fragt mich die Baronin abrupt. »Wie das richtig klingen muss?« Sie stößt ein klirrendes Lachen aus. »Richard hat sich nie die Mühe gemacht, mir das Klavierspielen beizubringen. Er meinte, ich sei unmusikalisch und hätte einen Vogel.«
Ich starre sie verwirrt an. Einen?
Die Baronin rutscht bereitwillig zur Seite und sieht mich abwartend an.
Ich habe das Gefühl, irgendetwas sagen zu müssen. Stattdessen rutsche ich in die Mitte des Schemels, räuspere mich und lasse die Finger knacken. Ich kann Noten lesen. Ich war schließlich mal an der Sommerakademie des Mozarteums. Damals, als ich bei dieser reizenden fröhlichen Frau Unterschlupf fand. Und ein bisschen Klavier spielen kann ich auch. Also. Das hier sieht doch gar nicht so schwer aus. Meine Finger zittern leicht. Soll ich? Aber wenn sie es merkt …
»Waaks!«, sagt das Huhn, das bis eben noch auf dem Notenberg thronte.
Okay, wenn das Huhn meint, ich soll, dann wage ich es einfach. Das Klavierstückchen ist wirklich leicht, in C-Dur und nicht beidhändig. Ich spiele es fehlerlos, ja, es hat sogar eine erkennbare Melodie.
»Das klingt wirklich wunderhübsch«, sagt die Baronin anerkennend. Ihre kleinen Fältchen um den Mund werden auf einmal zu Lachfältchen. »Sie spielen so schön legato!«
Oh. Das Wort kennt sie also.
»Ja, vielleicht sollten Sie versuchen, Ihr Handgelenk ruhiger zu halten und die Finger runder zu machen, dann klingt es nicht so abgehackt …« Ich führe ihr sanft den Arm.
Sie stolpert erneut durch das Stück, aber abgesehen von ein paar Ausrutschern klingt es jetzt schon ganz passabel.
Nach einer halben Stunde, in der wir richtig konzentriert gearbeitet haben, lächelt sie mich erschöpft, aber glücklich an: »Das hat mir richtig Spaß gemacht, Sonja. Sie sind eine so geduldige Lehrerin!« Eine zarte Röte kriecht über ihren Hals und ihre Wangen.
Ich bin halb gerührt, halb beschämt. »Na ja«, winke ich ab, »ich hab ziemlich lange nicht mehr … äh … unterrichtet.«
»Sie kommen also jetzt regelmäßig?«, fragt sie, springt auf und wühlt in ihrer Handtasche, die über einer Sessellehne hängt. »Fünfzig Euro die Stunde, hatten wir gesagt?«
Oh Gott. Oh nein. Das kann nicht ihr Ernst sein. Sie will mich auch noch dafür bezahlen, dass ich sie so schändlich hintergangen habe! Sie und ihren armen gut aussehenden Mann, der völlig zu Recht behauptet hat, seine Frau sei unmusikalisch und hätte einen Vogel.
Baronin Berkenbusch, ich muss Ihnen etwas gestehen. Ich bin überhaupt keine Klavierlehrerin. Ich muss nur dringend Ihren Mann sprechen. Den müsste ich mir
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