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Die Erfolgsmasche

Titel: Die Erfolgsmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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ans Werk.
    Etwa zehn Din-A-4-Seiten sind auszufüllen, und ich kreuze überall »Nein« an.
    Gelbsucht, Malaria, Depressionen, künstliches Gebiss, lose sitzende Zähne, Arthritis, Herzinfarkt, Schlaganfall, Hörsturz.
    Mein Gott, bin ich dankbar, dass ich überall »Nein« ankreuzen darf! Es geht immerhin um mein Kind, Greta!
    Bis auf Hormon-Tsunamis, die sie in regelmäßigen Abständen überschwemmen, ist meine Tochter völlig gesund.
    »Hören Sie manchmal schlecht?«
    Ja. Da muss ich wahrheitsgemäß antworten.

    »Fallen Ihnen schon leichte Hausarbeiten schwer?« Ja. Auf jeden Fall.
    »Brauchen Sie für Ihre tägliche Körperpflege ungewöhnlich lange?« Ja. Mindestens zwei Stunden.
    »Fällt Ihnen das Bücken schwer?« Ja! Mensch, woher wissen die das bloß?
    Als Greta mir über die Schulter schaut, weil gerade keine SMS kommt, reißt sie mir wütend das Blatt weg: »Mama, spinnst du? Das muss man wahrheitsgemäß ausfüllen!«
    »Aber das tue ich doch!«
    »Nee, Mama, echt jetzt! Meinst du, ich will hier noch ein paar Stunden rumliegen? Ich will endlich operiert werden!« Auf dieses Stichwort hin kommt wieder der Arzt und stellt uns alle hundertzwanzig soeben schriftlich beantworteten Fragen noch einmal. Dann erklärt er uns in aller Ausführlichkeit, was während Gretas Vollnarkose passieren wird.
    »Haben Sie noch Fragen?«, schließt der Arzt seine Erklärungen ab.
    »Nein«, sage ich schnell.
    »Ja«, sagt Greta ernsthaft und wirft mir einen Wehe-dumachst-jetzt-eine-bescheuerte-Bemerkung-Blick zu. »Darf man nach der Operation küssen?«

28
    Zugegeben. Es ist ein bisschen stressig im Moment. Ich hocke in dem winzigen Krankenzimmer mit Blick auf die Krankenhausmauer, wo mein Wagen gestern abgeschleppt wurde, und hacke die letzten Szenen meines Musicals in den Laptop. Meine entzückende Tochter Greta hat ein ätzendes kariertes, vorne geknöpftes Nachthemd an und schläft. Sie sagt nichts. Sie simst auch nicht. Der Klon liegt auf dem Beistellbett, das eigentlich für mich bestimmt war, und schläft auch. Allerdings nicht im ätzenden Krankenhaushemd, sondern in einem unserer Lieblings-T-Shirts mit der Aufschrift »Saufen ist cool«.
    Und unter uns: Nachdem eine blaue Friedenstaube mir einen lauwarmen Klecks Blumenkohlbrei im Plastikschälchen sowie eine halbe Tasse lauwarmen Hagebuttentee angeboten hat, bin ich zu der Würstchenbude am Taxistand geschlichen und habe mir verschämt eine Dose Stiegl geholt. Mit diesem Bier spüle ich mein Mittagessen hinunter. Um elf Uhr vormittags. Aber ich bin schließlich seit fast drei Uhr auf. So. Nur die Harten komm’ in’ Garten.
    Werner Gern macht mir inzwischen leisen Druck. Er wird richtig nervös, als ich ihn erneut vertröste: »Herr Richter ist bei seiner Tochter im Krankenhaus. Nein, nichts Schlimmes. Nur die Mandeln. Ja, ganz akut. Nein, er arbeitet dort weiter. Er wird in den nächsten zwei Wochen fertig sein.«

    Und Frau Carmen Schneider-Basedow vertröste ich auf die gleiche Weise: »Die Homestory mit Herrn Richter müssen wir leider noch einmal verschieben. Sein Kind ist krank. Es hat heute Nacht Blut gespuckt, und er musste mit zur Notoperation.« Die allgemeinen Mitleidsbekundungen und den riesigen Blumenstrauß werde ich Sebastian Richter natürlich aushändigen.
    Ist das nicht ungerecht?
    Eine Frau, eine Tat.
    Ein Mann, eine Heldentat.
     
    Irgendwann erwacht der Klon.
    »Na?«, frage ich. »Wie geht’s?«
    Bestimmt hat der Klon Phantomschmerzen.
    Der Klon reibt sich die Augen, greift stumm zur Fernbedienung und macht den Fernseher an, der über dem Tischchen an der Decke hängt.
    Na, dann wollen wir mal weiterarbeiten. Ein fulminantes Finale! Der junge Held in meinem Musical springt gerade aus dem dritten Stock des Schulgebäudes, um seinem kurzen Leben ein Ende zu setzen, landet aber direkt in den Armen seiner Eltern, die sich inzwischen wieder versöhnt haben. Der Chor singt dazu den absoluten Nummer-eins-Hit von Tom Konrad: »Das Einzige, was zählt - das Einzige, was wirklich zählt, bist du!«
    Mir kommen die Tränen, während ich das schreibe. Ich bin völlig begeistert von dem wirklich gelungenen Plot! Auch Werner Gern wird begeistert sein. Genauso hat er sich das gewünscht! Immer wieder hat er am Telefon gesagt: »Emotionen! Sagen Sie Herrn Richter: Emotionen! Er kann ruhig fingerdick übertreiben! Es darf vor Kitsch nur so triefen! Das Publikum will es so!«

    Eine schlecht synchronisierte Krankenhausserie stört meine Konzentration.

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