Die Erfolgsmasche
Klavier spielen. Jedenfalls nicht richtig.«
Mir wird schlecht. Ich schaue zu Boden.
»Nein, ich habe damals nur diesen Sommerkurs am Mozarteum …« Weiter komme ich nicht.
Die Schwester zückt einen Fotoapparat und knipst Richard und mich.
Richard scheucht sie unwillig weg. »Was soll das? Sie verwechseln mich!« Dann sagt er lächelnd zu mir: »Du kannst noch nicht mal D-Dur vom Blatt spielen.«
»Kann ich auch nicht …«, hebe ich an und schäme mich zu Tode.
»Ich wollte nicht indiskret sein, aber ich habe dich und Elvira beim letzten Mal ein bisschen belauscht. Und mir ist aufgefallen: Du spielst fast so schlecht wie sie. Nur nicht so aggressiv. Viel weicher. Sanfter.« Er grinst mich beinahe anzüglich an.
Ich beiße mir auf die Lippen und wünsche mir im selben Moment, er würde es tun.
»Also, wenn du keine Klavierlehrerin bist, was bist du dann? Was treibt dich in meine Nähe?« Seine dunkelbraunen Augen ruhen prüfend auf meinem Gesicht.
»Nun, das ist eine lange, um nicht zu sagen komplizierte Geschichte …«
Warum erzähle ich ihm nicht endlich alles?
Die Krankenschwestern spähen zwischen den Büschen hindurch.
»Ich weiß jetzt auch, wo ich dich schon mal gesehen habe.« Richards Stimme ist immer noch sanft und freundlich. »Im Chor. Bei der Einspielprobe. Mendelssohn, Sommernachtstraum .«
Ich starre zu Boden und schweige.
»Du hattest als Einzige keine Noten. Und du hast falsch eingesetzt.«
»Ich bin auch keine Chorsängerin«, gebe ich zerknirscht zu.
Mir ist so schlecht. Ich weiß nicht, wie ich es ihm beibringen soll.
Ich knete meine Finger, bis meine Knöchel weiß sind.
»Aber aus irgendeinem Grund kümmerst du dich rührend um meine Frau«, bohrt Richard leise nach.
»Nun ja, sie ist … ein bisschen verwirrt.« Ich streiche mir eine Haarsträhne aus der Stirn.
»Oder bin ich es, der dich verwirrt?«
Ich muss schlucken.
Er schaut mich plötzlich dermaßen intensiv an, dass ich glaube, tot umfallen zu müssen.
Er legt ganz sanft seine Hand auf meine ineinander verschlungenen Finger: »Sonja. Da ist so eine merkwürdige Verbundenheit zwischen uns, obwohl wir uns eigentlich kaum kennen.«
Seine Stimme ist zärtlich. Ich taste nach der nächsten freien Bank, auf die ich mich kraftlos sinken lasse.
»Ich weiß, du hast Hemmungen, weil ich noch verheiratet bin, aber die Ehe besteht nur noch auf dem Papier, und das sage ich nicht, weil das alle Männer sagen, Sonja. Du hast doch gesehen, was bei uns los ist …« Richard setzt sich nun neben mich auf die Bank. »Ich sehne mich nach einer normalen Frau, die mitten im Leben steht, nicht mit Eseln spricht und mich für irgendwelche verrückten Hirngespinste einspannen will …«
Ich muss husten.
»Sonja, dass wir uns ständig wiederbegegnen, das ist doch kein Zufall!«
»Nein«, sage ich rau.
Mein Handy klingelt, und ich zerre es mit fahrigen Bewegungen
aus der Handtasche. Als ich es an die Backe reiße und »Hallo« sage, fällt die Handtasche von der Bank.
»Werner Gern«, höre ich die sonore Stimme des Produzenten, »ich hoffe, ich störe nicht?«
Im selben Moment bückt sich Richard nach dem Tascheninhalt, der auf den geharkten Parkweg gekullert ist.
»Nur ein bisschen«, stammle ich, als Richard die Autogrammkarten aufsammelt, die aufs Gesicht gefallen sind. Auf sein Gesicht.
Richard will die Karten gerade wieder in die Tasche stecken, aber eine davon hat sich umgedreht. Er starrt auf sein Konterfei. Und dann auf mich. Immer abwechselnd.
»Sebastian ist nicht gerade zufällig in Ihrer Nähe?«, höre ich Werner Gern sagen.
»Doch«, flüstere ich, und der Kloß in meinem Hals ist schmerzhafter als nach jeder Mandeloperation. »Er sitzt gerade neben mir.«
Jetzt muss ich sterben. Bitte, lieber Gott, lass mich einfach tot umfallen.
Richard staunt seine Autogrammkarte an: »Sebastian Richter?«, fragt er ungläubig. »Wer soll das sein?«
»Du!«, flüstere ich panisch, das Handy an die Brust gepresst.
»Du bist ein Star-Autor!« Verzweifelt wedle ich mit den Händen und bedeute ihm, dass da jemand am Handy mithört. »Du schreibst Kolumnen und bist sehr beliebt!«
Richard schaut sich verwirrt nach den Krankenschwestern um, die wieder hinter den Büschen kichern.
»Aber sie verwechseln mich! Alle! Das ist zwar mein Foto, aber …«
Ich lege ihm den Finger auf den Mund, und er hört auf zu sprechen.
Ich verziehe schuldbewusst das Gesicht. »Das bist du ! Das ist alles meine Schuld. Bitte!«, presse ich
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