Die Erfuellung
nein, alles in Ordnung.«
»Was ist es dann?« Er blickte sie etwas verwirrt an. Dann schweifte sein Blick in Richtung Tür. »Ist es Watson?«, fragte er nach einigen Sekunden. »Hat er …?«
»Nein, es ist nichts.«
Auf keinen Fall durfte sie etwas gegen den Melker sagen. Sie konnte sich vorstellen, wie sehr Batley auf ihn angewiesen war. Immerhin war er ein hervorragender Arbeiter. Wenn sie sich mit ihm anlegte, würde es Ärger geben, und die Leid Tragende würde im Endeffekt wahrscheinlich sie selbst sein. Nachdem ihr Arbeitgeber nie eine Frau auf dem Hof hatte haben wollen, würde er vermutlich ihr die Schuld geben, wenn es zum Konflikt kam. Doch als sie Ralph Batley ins Gesicht sah, stiegen leise Zweifel in ihr auf, denn seine Züge hatten zum ersten Mal ihre Härte verloren, und sein Mund wirkte weniger verbissen. »Der Umgangston ist hier generell ein wenig rau«, erklärte er, »aber falls Watson etwas zu Ihnen sagt, das Ihnen nicht gefällt, kommen Sie zu mir. Verstanden?«
Sie nickte langsam. »Ja, aber er hat nicht …«
»Schon gut, lassen wir es dabei bewenden.« Er hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. »Gehen Sie jetzt ins Haus und essen Sie etwas«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort. »Richten Sie meiner Mutter aus, sie soll nicht auf meinen Onkel und mich warten, wir brauchen noch eine Weile. Und sagen Sie ihr, dass es nicht die Moderhinke ist. Nur ein Schaf, das sich am Bein verletzt hatte.«
»Oh, da bin ich aber froh.« Sie lächelte ihn an und nahm dann schnell ihren Dufflecoat von einem Haken, schlüpfte hinein und zog sich die Kapuze über den Kopf. Dann lief sie über den Hof zum Haus.
Es war schon fast sieben Uhr, als Ralph Batley und Shane hereinkamen. Mrs Batley legte den Socken weg, den sie gestopft hatte, und lief in die Spülküche. Linda, die neben dem Feuer saß, hörte sie leise und schnell reden. »Sag nichts« waren die einzigen Worte, die sie verstand. Sie blickte auf den Jungen herab, der in ihren Armen eingeschlafen war.
Nach dem Tee war der Junge mit seinen Büchern und seiner Lokomotive von seiner Matte zu ihrem Sessel gerutscht, wo er auf einmal, die Ellbogen auf ihre Knie gestützt, neben ihr kniete. Dann saß er auf der Kante ihres Sessels, sodass sie wie von selbst den Arm um ihn legen musste. Als seine Großmutter aus dem Zimmer ging, setzte er sich auf ihr Knie. Dabei sah er sie nicht an, sondern erklärte wortreich das Bild in dem Buch, das er sich vor das Gesicht hielt.
Als Mrs Batley die Halle betrat, blieb sie stehen und betrachtete die beiden aus der Ferne. Dann nahm sie wortlos ihren Platz wieder ein und griff nach ihrer Stopfarbeit. Intuitiv spürte Linda, dass sie verletzt war, weil nicht ihre Tochter mit dem Jungen im Arm bei ihr saß, sondern eine Fremde.
Shane hatte offensichtlich klare Instruktionen erhalten, denn er sagte nur: »Bin ich froh, dass das vorbei ist! Ich könnte ein Pferd essen.« Dabei vermied er es angelegentlich, in Lindas Richtung zu sehen. Dagegen sah Ralph Batley sie sehr wohl an, als er den Raum betrat, aber sein maskenhaftes Gesicht verriet keinerlei Regung. Er schien es sich angewöhnt zu haben, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen.
Michael wurde unruhig und schmiegte sich enger an sie, aber Linda rührte sich nicht. Nur allzu deutlich war sie sich der beiden Männer bewusst, die am Tisch ihr Mahl einnahmen. Sie wusste, dass Ralph sie und den Jungen von seinem Platz aus sehen konnte, aber er blickte nicht einmal in ihre Richtung.
Mrs Batley widmete sich erneut ihrer Stopfarbeit. Als sie nach einer Weile hörte, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde, sagte sie ohne aufzusehen: »Trägst du ihn bitte nach oben?«
Der Schein des Feuers verdunkelte sich, und Ralph Batley beugte sich über sie. Linda hob den Blick nicht vom Gesicht des friedlich schlafenden Jungen. Als sie Batley das Kind reichte, berührten sich ihre Hände für den Bruchteil einer Sekunde. Er wich zurück, als hätte er sich verbrannt. Es kam ihr vor, als hätte er ihr ins Gesicht geschlagen, und sie spürte, wie sie rot wurde vor Scham.
Mrs Batley folgte ihrem Sohn nach oben, während Linda steif in ihrem Sessel sitzen blieb und in die Flammen starrte. Sie sah nicht auf, als Shane sich neben sie stellte. Ein freundliches Wort, und sie würde in Tränen ausbrechen. Auch wenn sie behauptet hatte, keine Heulsuse zu sein, es war ein langer, harter Tag gewesen. Sie war todmüde und fühlte sich verletzt wie nie zuvor in ihrem Leben, nur
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