Die Erfuellung
Linda sich’s versah, hatte Cadwell sein Pferd gewendet und trieb es fluchend die Böschung hinauf. Schon hatte er die Gerte zum Schlag erhoben, hatte Ralph Batley fast erreicht, da gebot ihm eine Stimme Einhalt. »Aufhören! Sofort aufhören!«
Linda war von der Szene so gebannt gewesen, dass sie Mrs Batley gar nicht bemerkt hatte. Nun stellte sich die ältere Frau neben ihren Sohn und blickte auf Cadwell herab, dessen Pferd unten im Graben tänzelte und schäumte. Es sah aus, als hätte sich Cadwells Wut auf das Tier übertragen. Der sah nun nicht mehr Ralph, sondern dessen Mutter an, deren Worte für Lindas Ohren höchst merkwürdig klangen. Ihre Stimme verriet keinerlei Wut, sondern nichts als stille Verzweiflung. »Du hast also wieder angefangen«, stellte sie fest.
»Hat er jemals aufgehört?«, knirschte Ralph Batley.
»Nein, und das werde ich auch nicht, bis du erledigt bist, du mieser Emporkömmling!« Mr Cadwell richtete seinen durchbohrenden Blick erneut auf den jungen Mann. »Farmer. Ha!« Er lachte freudlos. »Warum gehst du nicht nach Hause und spielst auf dem Speicher mit deinen Puppen? Oder hast du dich jetzt auf lebendige Püppchen verlegt?« Er warf Linda, die auf der anderen Seite von Mrs Batley stand, einen höhnischen Blick zu. »Pass nur auf, dass sie dir keiner wegnimmt. Das wäre ein Spaß, was?«
Ralph Batley setzte zum Sprung über den zerstörten Zaun an, aber seine Mutter warf sich ihm in den Weg, sodass er im Draht hängen blieb. Für einen Augenblick versuchte er vergeblich, die Haken des Stacheldrahts aus seiner Kleidung zu lösen.
Mr Cadwell lachte dröhnend. »Genauso sollst du enden! Gebeugt und gebrochen wie dein Alter!«
»Schluss jetzt! Halt dein schmutziges Mundwerk!« Mrs Batley stand nun am Rande der Böschung und funkelte Cadwell wütend an.
Rouse Cadwell, der sich bis dahin zurückgehalten hatte, trieb sein Pferd an die Seite seines Vaters. »Komm, das reicht!«, mahnte er.
Aber Mr Cadwell ließ sich nicht so leicht ablenken. »Erst wenn sie ihre Drecksviecher von meinem Land geholt haben.«
Mrs Batley rang zitternd nach Atem. »Junge, hör auf«, flehte sie ihren Sohn an, dessen Gesicht wie versteinert wirkte. »Es ist genug. Hol die Tiere … bitte.« Sie schüttelte ihn am Arm, als wollte sie ihn aus seiner Trance wecken. »Mir zuliebe.«
Mitleid überkam Linda, als sie sah, wie ihr Arbeitgeber weiter unten über den Zaun sprang, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die Cadwells zu legen. Sie folgte ihm mit den Blicken, als er die Straße überquerte und durch ein offenes Tor die Weide der Cadwells betrat, wo sie in der Ferne Sep Watson erkannte, der die Schafe zusammentrieb.
Als Mrs Batley leise fragte, ob sie sich um die Tiere auf der Straße kümmern könne, schlitterte sie ohne zu zögern die Böschung herunter. Dabei würdigte sie die Reiter keines Blickes, obwohl sie ganz dicht an den Pferden vorbei musste.
Nur zwei Schafe hatten sich auf den Weg verirrt, aber wie es sich für Schafe gehört, weigerten sie sich halsstarrig, in die Richtung zu laufen, in die Linda sie zu treiben versuchte. Zu allem Überfluss hielt sich jedes auf einer anderen Seite der Straße auf. Als sie die beiden schließlich zusammen hatte, wollten sie partout nicht auf dem Weg bleiben, sondern versuchten ständig, durch den Zaun erneut auf die Weide zu gelangen.
Dann sah sie Pferd und Reiter auf sich zukommen. »Dieser Teufel«, dachte sie. »Das tut er absichtlich, um mir das Leben noch schwerer zu machen.« Doch Rouse Cadwell ritt an ihr vorbei und stellte sein Pferd quer zur Straße, sodass die Schafe hastig die Flucht ergriffen. Überrascht wandte sie sich um. Er lächelte nicht, wirkte jedoch auch nicht mehr verärgert. Rasch wandte sie den Blick ab, aber als sie aus dem Graben zurück auf die Straße kletterte, sprach er sie an.
»Regen Sie sich nicht auf, das ist hier ganz normal.« Dann beugte er sich vor. »Vergessen Sie die Taschenlampe nicht«, setzte er leise hinzu.
Noch während sie sich abwandte, fiel ihr Blick auf das empörte Gesicht von Ralph Batley, der für einen Augenblick auf der gegenüberliegenden Böschung hinter dem Zaun stehen geblieben war. Ich habe doch gar nicht mit ihm geredet, hätte sie angesichts seines offenkundigen Zorns am liebsten gerufen.
Die Schafe hatten sich in Bewegung gesetzt. Da sie nicht an dem älteren Cadwell und seinem Pferd vorbeikonnten, erklommen sie die Böschung und liefen durch den zerschnittenen Draht auf die
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