Die Erfuellung
einschlugen. Dann krachte es wie berstendes Holz. Als sie voller Angst wieder hinsah, lag Sep Watson am Boden.
Wie ein angeschlagener Boxer stützte sich der Melker auf Hände und Knie und richtete sich mühsam auf. Aber er hob die Fäuste nicht wieder, sondern sah nur mit gesenktem Kopf seinen Chef an und knurrte: »Dafür kriege ich dich noch, wart’s nur ab!«
»Verschwinde, solange du noch kannst. Hau ab!« Ralph Batley sprach in einem Ton, den er nicht einmal Tieren gegenüber angeschlagen hätte. »Wenn ich dich noch einmal auf meinem Land erwische …« Er beendete den Satz nicht, sondern wandte sich eilig seinem Onkel und Linda zu.
»Alles in Ordnung, Onkel?«
»Ja, geht schon wieder. Nur eine aufgeplatzte Lippe, sonst nichts. Ich muss dir was sagen.« Der alte Mann zog seinen Neffen beiseite und redete mit leiser Stimme auf ihn ein.
Linda lehnte nun mit dem Rücken an den Ballen und fühlte sich merkwürdig leer. Ihr Körper war völlig kraftlos, und sie hätte am liebsten geweint. Als Ralph Batley ihr die Hände hinstreckte, griff sie danach, war jedoch nicht in der Lage, sich hochzuziehen. Sie wusste, dass sie zu zittern begonnen hatte, und konnte die Tränen kaum noch unterdrücken. Sie ließ den Kopf sinken, und als er ihr unter die Arme griff und sie langsam auf die Beine zog, stammelte sie: »Es ist alles in Ordnung.« Aber dann merkte sie, dass gar nichts in Ordnung war. »Ich muss mich hinsetzen«, fügte sie hastig hinzu. Aber es gab keinen Platz dafür und so klammerte sie sich an seinen Arm.
»Sind Sie … verletzt?«, fragte er besorgt.
Sie antwortete nicht sofort, weil sie sich am ganzen Körper völlig zerschlagen fühlte. In diesem Augenblick wollte sie einfach nur weinen vor Erleichterung über ihre Rettung.
»Sehen Sie mich an.« Seine Stimme klang geradezu sanft. »Linda, sehen Sie mich an. Hat er …? Onkel Shane hat gesagt … Erzählen Sie mir, was passiert ist.«
Er hatte sie Linda genannt, aber im Moment registrierte sie das nicht einmal. Sie wollte nur noch weinen, und er mochte keine Tränen. »Nein«, stieß sie gerade noch hervor, bevor sie von einem Weinkrampf überwältigt wurde. Sie merkte kaum, dass er sie in den Armen hielt, dass ihr Kopf an seiner Schulter lag und dass er sie »Liebes« nannte, als wäre sie Sarah, die Kuh. Sie wusste nur, dass sie weinte wie nie zuvor in ihrem Leben, und hatte das Gefühl, nie wieder aufhören zu können.
Dann trug er sie über den Hof, aber sie wunderte sich nicht einmal darüber. Und als sie schließlich auf einem Stuhl in der Küche saß, war ihr alles so egal, dass sie den Kopf auf den Tisch sinken ließ und in ihre Armbeuge schluchzte.
»Trinken Sie das aus. So weinen Sie doch nicht mehr. Hören Sie mich? Sie werden noch krank.«
Bei seinen scharfen Worten hob sie den Kopf, aber sie sah ihn weder an, noch nahm sie ihm das Glas aus der Hand.
»Trinken Sie das, und zwar alles.« Er hielt ihr den Weinbrand an den Mund. Beim ersten Schluck musste sie so husten, dass sie ihm auf die Hand spuckte. Das brachte sie zur Besinnung. Sie benahm sich albern und musste sich dringend zusammenreißen. Langsam und gleichmäßig atmete sie durch, hob dann den Kopf und murmelte: »Es geht schon wieder.«
Als er die Hand ausstreckte und ihr das wirre Haar aus der Stirn strich, wurde sie innerlich ganz still. Es war eine Ruhe, die von einem zarten Spinnennetz des Staunens durchzogen wurde, von dem sie wusste, dass sie sehr vorsichtig damit umgehen musste, wenn es nicht reißen sollte. Sie versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen, sich auf die neue Situation einzustellen.
»Wie sind Sie so schnell zurückgekommen?«, fragte sie, um bei einem unverfänglichen Thema zu bleiben.
Nun wich Ralph Batley ihrem Blick aus. »Ich weiß nicht so recht. Es ist merkwürdig, aber ich dachte, ich hätte das Muschelhorn gehört.«
»Das Muschelhorn?« Sie sah ihn fragend an.
»Es heißt, wenn ein Mitglied unserer Familie in Gefahr gerät, ertönt das Muschelhorn. Ein alter Aberglaube. Stimmt’s, Shane?«
Shane, der an der Spüle stand und sich mit einem feuchten Tuch den Mund abtupfte, nickte zustimmend. »Ja, das ist richtig.« Dann sah er seinen Neffen an. »Bist du sicher, dass du es gehört hast, Junge?«
»Auf jeden Fall bin ich zurückgekommen. Ich war auf dem Weg zum oberen Zaun, weil ich Watson eine Falle stellen wollte.«
»Watson? Warum denn?«
Ralph Batley erklärte knapp, was vorgefallen war. Er klang müde und endete mit den Worten:
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