Die Ernaehrungsfalle
ist Rom, die Sitzungen finden in aller Welt statt. Den Codex gibt es seit 1962, und seither sind seine Gremien damit beschäftigt, weltweit gültige Normen für Lebensmittel festzulegen: für Gen-Food und für Bio-Waren, aber auch für die Qualität von ordinären Obstsäften und Margarine, für → Suppen und Geflügel, für Cornflakes, → Zucker , Schokolade, → Käse . Die Codex-Mitglieder
erlassen Hygienerichtlinien, legen Grenzwerte fest für Gift im Gemüse und Arzneimittelrückstände im Fleisch, regeln die radioaktive Bestrahlung von Gewürzen und untersuchen Gesundheitsgefahren, wie etwa → Allergien , die von Lebensmitteln ausgehen können. Und sie beschließen, was auf dem → Etikett zu stehen hat. Der Codex setzt Regeln für alle Arten von Nahrungsmitteln, die auf dem Globus gehandelt werden. Dafür gibt es mehr als zwei Dutzend Untergruppen, die sogenannten Codex Committees.
176 Staaten sind Mitglied im Codex Alimentarius, und eigentlich sind nur die Vertreter der Mitgliedsländer stimmberechtigt. In der Praxis spielt dies aber keine Rolle, weil ohnehin nicht abgestimmt wird: Die Entscheidungen werden einvernehmlich gefällt. In den Sitzungen gibt die Nahrungsindustrie den Ton an. Verbrauchervertreter kommen nur am Rande vor. In den Medien ist davon nichts zu erfahren: Der Codex Alimentarius ist zwar das weltweit wichtigste Beschlussorgan in Sachen Nahrung, doch die Korrespondenten der Weltpresse sind nicht dabei. Die Vertreter der Nahrungsindustrie reisen teils in Delegationen ihrer Lobby-Verbände, teils aber in den offiziellen Delegationen der Länder mit und treten mithin als offizielle Vertreter ihres Landes auf. So bestand bei der Sitzung des Codex-Komitees für Zusatzstoffe in Peking vom 21. bis 25. April 2008 die Mehrheit der Schweizer Delegation aus Vertretern von Konzernen: Fünf Industrie-Lobbyisten saßen neben zwei Regierungsvertretern an einem Tisch mit dem Schild »Switzerland«. Der Nahrungs-Multi → Nestlé war dabei und der Aromenproduzent Givaudan, der holländische DSM-Konzern, der in seiner Schweizer Filiale Vitamine produziert, und der japanische Gigant Ajinomoto, Weltmarktführer bei → Glutamat , dazu ein freier Lobbyist, der sich für seine Dienste von wechselnden Auftraggebern bezahlen lässt. In der deutschen Delegation saß ein Vertreter des Südzucker-Konzerns, zusammen mit drei Regierungsvertretern. Bei dieser Sitzung waren insgesamt 262 Delegierte aus 62 Nationen zugegen, die meisten davon Industrievertreter. Insgesamt waren nur drei Konsumentenvertreter dabei. In den Folgejahren war es ähnlich.
Für die Codex-Zusammenkünfte ist das typisch. Die Vertreter der Food-Industrie haben häufig die Mehrheit, wie die Statistik einer englischen Verbraucherorganisation ergab: Von 1989 bis 1991 etwa nahmen an den Fachausschusssitzungen 2578 Delegierte teil, davon waren lediglich 26 von Umwelt- oder Verbraucherorganisationen entsandt. Insgesamt waren 105 Staaten vertreten, aber 108 transnationale Unternehmen. In den Ausschuss »Lebensmittel-Zusatzstoffe und Schadstoffe« entsandte die Industrie beispielsweise fast doppelt so viele Delegierte wie alle EU-Regierungen zusammen.
Die Entscheidungen entsprechen dann auch dieser Zusammensetzung. Beispiel: Dass man ein Erdbeeraroma, das aus → Sägespänen gewonnen wurde, als »natürliches Aroma« bezeichnen darf, geht auf eine Vorschrift des Codex zurück: Im Anhang 1 zum Codex Alimentarius Band XIV heißt es unter der Überschrift »Allgemeine Anforderungen an natürliche Aromastoffe«: »Natürliche Aromen oder natürliche Aromastoffe« seien Substanzen, die auf »physikalischem, mikrobiologischem oder enzymatischem« Wege aus Materialien »pflanzlichen oder tierischen Ursprungs« gewonnen werden. Der Verwendung von Sägespänen fürs Erdbeeraroma - oder auch, was ebenfalls gebräuchlich ist, Fischresten fürs Geflügelaroma - steht damit nichts im Wege. Bäume und Meeresgetier sind schließlich unzweifelhaft Bestandteile der Natur.
Früher waren die Codex-Beschlüsse eher unverbindlich. Doch die Bedeutung der Kommission ist stetig gestiegen; ohne öffentliches Aufsehen ist der Codex zur weltweit wichtigsten Instanz in Sachen Lebensmittel geworden. Seit das Welthandelsabkommen GATT den freien Warenverkehr zwischen Ländern und Kontinenten liberalisiert hat und die Welthandelsorganisation WTO Konflikte schlichten muss, gelten faktisch weltweit nur noch die Codex-Regeln. Die Welthandelsorganisation stützt sich bei
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