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Die Ernte

Die Ernte

Titel: Die Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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verwandelten. Diese Energie floss nun durch ihn hindurch und war Nahrung für die Mutter-Kreatur. Er fühlte wie sich die weißen Wurzeln in den Grund bohrten, die Wasseradern anzapften und Nitrate aus dem dunklen Lehmboden saugten. Die Spitzen der Zweige waren seine Finger, bereit in wunderbare Blüten aufzubrechen. Er war in eine größere Verbindung eingetreten, er war nicht mehr nur entweder Mensch oder Baum, er war nur mehr Staub und Energie, die sich in seltsam bizarren Formen offenbarten.
    Sylvester fiel auf den Rücken. Sein Kopf wirbelte mit den Erinnerungen des Baumes herum, Gedanken an aufkeimende Samen, ihren schweren Kampf durch die harte Erde, ihren Weg zum Licht. Er wälzte sich in den feuchten, abgefallenen Blättern, nahm den dicken Morast und die Bakterien in sich auf, berauschte sich an den vor Leben strotzenden Mikroorganismen und dem Reichtum an zellularer Aktivität. Er drehte sich auf seine Knie und Hände und in seinem Antlitz leuchtete ein glückseliges Lächeln auf. Die Freude, sich nun verwirklicht zu haben, durchströmte ihn und ließ sein totes Herz erbeben. Sein Verstand pries die Farbe Grün.
    Sylvester erhob sich wieder und blickte in den großen, blauen Himmel, der ihm mit seinen Wolken wie ein entfernter Verwandter erschien, wie ein Teil eines großen, liebevollen Biosystems. Er bewegte sich auf der Erde weiter, die ein großer Garten war, dessen einzige Funktion es war, die pflanzenfressende Urmutter zu ernähren. Sylvester nahm am Hunger der Urmutter teil; nein, er war der Hunger. Seine Verwandlung hatte seinen Jagdtrieb nicht ausgelöscht.
    Er teilte mit ihr den Wunsch zu verzehren und dann weiterzuziehen, die Freigiebigkeit der Natur abzuernten und dunkle Materie wieder auszuscheiden. Er floss dahin wie Wasser, ließ sich von der Strömung, die alles in die Richtung eines einzigen Ziels transportierte, mitreißen.
    Nach Hause.
     
    ###
     
    Paul Crosley schaute aus seinem Wohnwagenfenster. Der Pickup von Jimmy Morris stand in der Auffahrt der Mulls. Das konnte nur eine Sache bedeuten.
    Zum Teufel, er konnte sehen, wie sich der Wohnwagen seiner Nachbarin auf und ab bewegte wie ein Schaukelpferd. Jimmy musste es ihr wohl gerade besorgen als gäbe es kein Morgen.
    Aber Paul konnte ihm keinen Vorwurf machen. So viel er sich erinnern konnte, war sie nicht von schlechten Eltern. Und er hatte vor, seine Erinnerungen wieder aufzufrischen, sobald Jimmy weg war.
    Paul richtete die Binde über seinem rechten Auge. Das verdammte Ding juckte heute wie verrückt. Vielleicht hätte er doch ein Glasauge nehmen sollen, wie es die Ärzte ihm geraten hatten. Aber es kostete ihm schon genug Mühe, jeden Morgen seine Zähne in den Mund zu bekommen. Er wollte sich nicht noch mit mehr Ersatzteilen seines Körpers herumschlagen müssen.
    Eines der Mull Kinder kam gerade um die Ecke ihres Wohnwagens. Es war der Älteste, der eine mit der Armeejacke, den Paul am Morgen im Schuppen beim Marihuana-Rauchen beobachtet hatte. Der kleine Arsch sollte doch in der Schule sein und etwas Anständiges lernen. Kein Wunder, dass die ganze amerikanische Gesellschaft den Bach hinunterging.
    Wenn das passiert wäre, als er noch jung war, dann hätte ihm sein Vater den Hintern mit einem Haselnussstecken verdroschen.  Und das war ja noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war, dass er hinausgehen und selbst eine Gerte aussuchen musste.  Und er durfte natürlich kein zu dünnes Zweiglein aussuchen, das noch dazu schlaff wie Lakritze war. Da musstest du schon einen saftigen, biegsamen Stecken aussuchen oder Papa würde seinen eigenen holen und dann Gnade dir Gott, denn dann würde die Haut aufplatzen und das Blut fließen.
    Jetzt durften die Lehrer ja nicht einmal mehr die Hand gegen aufmüpfige Schüler erheben. Die verdammten Liberalen verhätschelten diese rotznasigen Verbrecher noch so, als ob sie die Opfer wären. Paul hatte schon einmal gesehen, wie die Polizei den Jungen nach Hause brachte. Peggy war in ihrem blumigen Nachthemd im Eingang ihres Wohnwagens gestanden und hatte mit ihren wasserstoffblonden Haaren genickt und gesagt, Ja, Inspektor, ich werde in Zukunft besser auf ihn aufpassen, aber ich weiß, dass er im Grunde ein guter Junge ist und ich weiß, dass er es nicht noch einmal machen wird.
    Und die Polizisten hatten einfach mit den Achseln gezuckt, ebenfalls genickt und waren weggefahren.
    Und der Rotzjunge hatte sogar noch den Nerv, eine Uniform der amerikanischen Streitkräfte zu tragen, obwohl er doch

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