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Die Ernte

Die Ernte

Titel: Die Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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von sich aufbauen wollte.
    Sie blickte von ihrem Fenster auf die belebte Straße. Fast doppelt so viel Verkehr wie vor zwölf Jahren, als sie sich zum ersten Mal an diesen Tisch gesetzt hatte. Und dieser Ort – nein, diese Stadt, denn in ihren Augen war es eine Stadt, egal, was die offizielle Bezeichnung war - war unter ihrer fürsorglichen Arbeit aufgeblüht. Die Steuereinnahmen stiegen, der Budgetüberschuss wuchs und ihr Vorsprung auf ihre politischen Konkurrenten stieg bei jeder Wahl an.
    Sie wandte sich noch einmal an Crosley. »Ich möchte mich an diesem Wochenende einfach mit der Familie amüsieren, so wie es die Werbung der Wirtschaftskammer versprochen hat. Das bedeutet: keine öffentlicher Alkoholkonsum, kein Abfall auf dem Boden, alle Straßenverkäufer müssen sich an die Verkehrsbestimmungen halten und....« Virginia hielt inne. »Ich muss schnell noch etwas überprüfen.«
    Sie drückte energisch auf einen Knopf ihres Lautsprechertelefons. »Martha?«
    »Ja?«, tönte es blechern aus dem Lautsprecher.
    »Welche Livemusik hat die Wirtschaftskammer für das Blütenfest gebucht?«
    Virginia hörte das Rascheln von Papier.
    »Frau Bürgermeister, es sieht so aus, als hätten wir einen Sologitarristen um zehn, danach ein Streicherquartett aus Westridge. Den Hauptauftritt bestreitet dann ein Countrymusiker, Sammy Ray Hawkins.«
    Virginia lächelte erleichtert, wobei ihre Muskeln von der ungewohnten Bewegung zu zucken begannen. »Danke, Martha«, sagte sie und legte auf, noch bevor ihre Sekretärin "bitte" sagen konnte.
    Virginia sagte zu Crosley: »Ich hatte schon befürchtet, dass die Kammer so dumm gewesen sein könnte, eine von diesen Rock ´n´ Roll-Bands zu engagieren. Das hätte aber nicht ins Stadtbild von Windshake gepasst, oder?«
    Crosley grunzte zustimmend und ein Krümelchen fiel von seinen Lippen. »Ich werde alles unter Kontrolle halten.«
    Virginia nickte selbstvergessen. Es würden mindestens ein paar tausend Besucher kommen, geködert von den Schönheiten des Kunsthandwerks der Appalachen, den volkstümlichen Traditionen, den altmodischen Geschichtenerzählern und der Möglichkeit, ihr in der Großstadt verdientes Geld wieder auszugeben. Sie waren zwar keine Wähler, aber der zusätzliche Umsatz war ein wichtiger Antrieb für die lokale Wirtschaft und deshalb indirekt auch gut für ihre politische Karriere. Was Windshake nicht schadete, war gut für Virginia.
    Ihr Plan war es, an diesem Tag überall präsent zu sein.  In ihren Gedanken ging sie schon ihren Kleiderschrank durch und suchte schon ein Outfit aus, in dem sie zwar prunkvoll, aber nicht prahlerisch auftreten könnte. Auf Crosley hatte sie beinahe vergessen.
    »Sonst noch etwas, Frau Bürgermeister?«
    Sie winkte ihn hinaus und hörte wie er im Duett mit seinem Sessel aufächzte. Sein Hinterteil wackelte wie Pudding als er den Raum verließ. Virginia war schon wieder in ihrem Schrank und probierte im Geiste ihr Outfit an.
     
    ###
     
    Das Ding, das früher einmal Sylvester Mull gewesen war, torkelte durch den Wald. Es hatte noch Splitter von Sylvesters Erinnerungen und seiner Persönlichkeit in sich, aber zusätzlich dazu wucherte in ihm wie eine Krebszelle auch noch das Bewusstsein des Sporenpilzes aus dem All, das seine Wiedergeburt ausgelöst hatte. Energieschübe, die im Rhythmus des Metabolismus seines entfernten Verwandten pulsierten, jagten durch seinen Körper. Sylvester wunderte sich noch, warum es ihm nichts ausmachte, dass er seine geliebte Waffe im Wald zurückgelassen hatte. Vielleicht, weil sein Verlangen, sich mit der Tierwelt zu vereinigen, nun größer war, als es zu töten.
    Er konnte sich nur mehr dunkel an sein Zusammentreffen mit Ralph erinnern. Und wenn er an seine Verwandlung dachte, dann nur mit höchsten Glücksgefühlen, nicht mit Trauer oder Schmerz. Er wünschte sich nur, dass er sich bei Ralph bedanken könnte, denn er sah jetzt ein, dass er sein ganzes Leben bis jetzt verschwendet hatte. Jetzt hatte er eine Bestimmung. Jetzt diente er einem höheren Zweck.
    Aber Ralph war in eine andere Richtung davon gestolpert, er hatte eine andere Mission zu erfüllen und war für die Entgegennahme von Dankesbekundungen nicht zu haben gewesen. Er war dem Ruf seiner eigenen inneren Stimme gefolgt.
    Sylvester lehnte sich gegen einen wilden Kirschbaum und presste seine Hände gegen die raue Rinde des geborstenen Stammes. Er spürte die Zellen des Baumes während des Prozesses der Fotosynthese, wie sie Licht in Energie

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