Die Ernte
Zigarette, dann atmete sie langsam aus. Sie fühlte sich schon jetzt völlig ausgelaugt. »Ich nehme nur Bares.«
Sie warf den Telefonhörer auf die Gabel. Sie können mich am Arsch lecken. Alle können sie mich am Arsch lecken.
Es kann nicht schlimmer sein als auf der Bühne zu stehen und in einem Theaterstück mitzuspielen. Als sie zwölf Jahre alt war, hatte sie in einem Theaterstück ihrer Schulklasse Dornröschen spielen müssen. Ihre Mama war so stolz auf sie, dass sie ihr mit dem Geld, das die Familie dringend für andere Dinge gebraucht hätte, den Stoff für ihr Bühnenkostüm kaufte. Peggy konnte sich jetzt noch an das Gefühl des Kleides, das ihre Mutter genäht hatte, auf ihrer Haut erinnern. Es war aus jungfräulich weißer Baumwolle mit Spitzen, hatte Puffärmel und einen weißen Schleier. Sie hatte das Kleid das erste Mal bei der Generalprobe vor der Aufführung angezogen.
Sie hatte sich wirklich wie eine Märchenprinzessin gefühlt und, als sie über die Bühne ging, glaubte sie zu schweben. Die Spitzen raschelten leise bei jeder Bewegung und der Schleier lag wie ein Hauch in ihrem Nacken. Ihr ganzer Körper kribbelte vor Aufregung. Eine Nacht lang glaubte sie an Wunder.
Sie bemerkte, wie sie die Jungen während der Probe anstarrten. Sogar die Mädchen schauten sie an, als ob sie eine Fremde wäre, doch in ihren Blicken lag eine Mischung aus Bewunderung, Neid und Verachtung. Ihr Lehrer, Mr. Anderson, hatte gesagt, dass sie wunderbar aussah.
»Zum Auffressen schön«, hatte er zu ihr gesagt, als sie hinter dem Vorhang alleine waren. Und als schon alle anderen nach Hause gegangen waren und Mr. Anderson sie nach Hause fahren sollte, schloss er das Schulgebäude ab, verdunkelte die Turnhalle und schaltete nur einen Beleuchtungsspot ein. Dann führte er sie zu dem mit einem weißen Leintuch drapierten Altar aus Sperrholz, auf dem Dornröschen am nächsten Tag in den hundertjährigen Schlaf fallen und auf den erlösenden Kuss des Prinzen warten sollte. Mr. Anderson legte sie vorsichtig zwischen die Plastikrosen auf den Altar, schob ihr Kleidchen nach oben und drang in sie ein. Dabei sagte er, dass Prinzessinnen so die wahre Liebe finden würden.
Es tat ihr weh und sie blutete ein wenig, aber nicht einmal das konnte das zauberhafte Gefühl vertreiben. Sie hatte sich nie wieder so geliebt gefühlt, so geschätzt und so wertvoll wie damals. Obwohl die Theateraufführung dann eine absolute Katastrophe wurde und Mr. Anderson ihr nie wieder in die Augen blicken konnte, konnte sie sich noch immer an das wunderbar leichte Gefühl von damals erinnern. Und ihr ganzes Leben lang hatte sie versucht, diesen magischen Moment noch einmal zu erleben. Sie wollte noch einmal die Hauptrolle spielen, noch einmal unter die weiche Decke dieser Märchenwelt schlüpfen.
Scheißdreck, du kannst "Märchen" zu deiner Liste dazuschreiben, gleich neben "Liebe" und "Stolz". Sollte mein Prinz jemals kommen, dann muss er auf jeden Fall ordentlich dafür bezahlen.
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Junior gab seinen Joint an Reggie Speerhorn weiter. Reggie machte einen Zug und rollte mit seinen Augen.
»Gute Ware«, grunzte er, als er ausatmete, und lehnte sich gegen den Mülleimer. Sie schwänzten gerade die letzte Unterrichtsstunde und versteckten sich in einer Nische hinter der Turnhalle. Plötzlich schaltete sich in der Turnhalle die Luftumwälzpumpe ein und Junior zuckte vor Schreck zusammen.
Wade, der dritte im Bunde, lachte laut auf. Er sagte: »Das erinnert mich daran, wie du dich vor dem Blitz geschreckt hast, gerade während du gepinkelt hast. Deine Schuhe hast du dir vor Schreck vollgepisst.«
Reggie nahm noch einen Zug und sagte zu Junior, »Ja, Mann. Du bist in letzter Zeit so nervös. Was geht ab, Alter?«
Junior ärgerte sich ein wenig. Am liebsten wollte er ihnen sagen, dass sie sich verziehen und ihn am Arsch lecken sollte, aber sie waren seine besten Kunden. Die Typen hatten Geld und darauf kam´s hier an.
Wade war nicht von hier, sondern aus Chicago. Seine Eltern waren steinreich, weil sein Alter bei IBM in Pension gegangen war, oder so irgendetwas. Er sagte, dass seine Eltern mit ihm hierher gezogen waren, um ihn von den Niggern, Latinos, den Gangs und den Drogen fernzuhalten. Naja, zu fünfundsiebzig Prozent war der Plan ja aufgegangen.
Wade war es auch egal, wie viel er bezahlen musste. Er war an die schnell steigenden Preise in der Stadt gewöhnt und Junior konnte von ihm leicht zehn Dollar pro Gramm Haschisch verlangen.
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