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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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vergessen. Er hatte die Handgelenke auf dem Tischrand, verhielt sich wie ein Kind, während er darauf wartete, daß Marthe an ihn denken mochte. Sie bediente ihn als letzten, wie es gerade kam und dürftig. Rose, die hinter ihr stand, machte sie darauf aufmerksam, wenn sie sich irrte und an einen guten Bissen geriet.
    »Nein, nein, nicht dieses Stück … Sie wissen doch, daß Herr Mouret den Kopf gerne mag; er lutscht die Knöchelchen aus.«
    Mouret, der zurückgesetzt wurde, aß mit den Schamgefühlen eines Tellerleckers. Er spürte, daß Frau Faujas ihn ansah, wenn er sich Brot abschnitt. Die Augen auf die Flasche gerichtet, überlegte er eine reichliche Minute, ehe er wagte, sich etwas einzuschenken. Einmal irrte er sich, nahm ein paar Tropfen vom Bordeaux des Herrn Pfarrer. Das war eine schöne Bescherung! Einen Monat lang warf ihm Rose diese paar Tröpfchen Wein vor. Wenn sie irgendeine Süßigkeit zubereitete, rief sie:
    »Ich will nicht, daß Herr Mouret davon kostet … Er hat mir nie ein Kompliment gemacht. Einmal hat er mir gesagt, mein Omelett sei angebrannt. Da habe ich ihm geantwortet: ›Für Sie wird es immer angebrannt sein‹. Hören Sie, Madame, geben Sie Herrn Mouret nichts davon.«
    Dann gab es Sticheleien. Sie reichte ihm gesprungene Teller, deckte so, daß er ein Tischbein zwischen den Beinen hatte, ließ Wischtuchfusseln an seinem Glas, stellte Brot, Wein, Salz an das andere Ende des Tisches. Mouret liebte als einziger Senf; er ging selber zum Kaufmann und kaufte welchen, den die Köchin unter dem Vorwand, daß »das stinkt«, regelmäßig verschwinden ließ. Daß man ihm den Senf entzog, genügte, ihm seine Mahlzeiten zu verderben. Was ihn noch mehr in Verzweiflung brachte, was ihm vollends den Appetit raubte, war die Tatsache, daß man ihn von seinem Platz verjagt hatte, von dem Platz vor dem Fenster, den er von jeher innehatte und der dem Priester gegeben wurde, weil dieser Platz der angenehmste war. Nun saß er mit dem Gesicht zur Tür; seit er nicht mehr bei jedem Bissen, einen Blick auf seine Obstbäume werfen konnte, war ihm, als äße er bei Fremden.
    Marthe verfügte nicht über Roses Bitterkeit; sie behandelte ihn wie einen armen Verwandten, den man duldet; sie wußte am Ende gar nicht, daß er da war, richtete fast nie das Wort an ihn und handelte, als habe Abbé Faujas allein im Haus Anordnungen zu geben.
    Übrigens begehrte Mouret nicht auf; er wechselte einige höfliche Worte mit dem Priester, aß schweigsam, erwiderte die Angriffe der Köchin mit trägen Blicken. Dann faltete er, da er stets als erster fertig war, seine Serviette übertrieben genau zusammen und zog sich oft vor dem Nachtisch zurück. Rose behauptete, er ärgere sich scheußlich. Wenn sie mit Frau Faujas in der Küche plauderte, gab sie ihr lang und breit Erklärungen über ihren Herrn.
    »Ich kenne ihn gut, er hat mir nie viel Schrecken eingejagt … Ehe Sie hierherkamen, zitterte Frau Mouret vor ihm, weil er immer darauf aus war, zu zanken, den furchtbaren Mann zu spielen. Er fiel uns allen hübsch auf die Nerven, war immer hinter uns her, fand nichts gut, steckte seine Nase überall hinein, wollte zeigen, daß er der Herr im Hause war … Jetzt ist er sanft wie ein Lamm, nicht wahr? Weil Frau Mouret die Oberhand gewonnen hat. Ah! Wenn er beherzt wäre, wenn er nicht allerlei Verdruß fürchtete, würden Sie ein hübsches Gezeter zu hören bekommen. Aber er hat zuviel Angst vor Ihrem Sohn; ja, er hat Angst vor dem Herrn Pfarrer … Man möchte meinen, er wird zeitweise einfältig. Da er uns nicht mehr behindert, kann er schließlich gern so sein, wie es ihm gefällt, nicht wahr, Madame?«
    Frau Faujas erwiderte, Herr Mouret scheine ihr ein sehr ehrenwerter Mann zu sein; er habe den einzigen Fehler, daß er nicht religiös sei. Aber er werde später gewiß zum Guten zurückkehren. Und die alte Dame bemächtigte sich langsam des Erdgeschosses, ging von der Küche ins Wohnzimmer, trabte in der Diele und im Flur umher. Wenn Mouret ihr begegnete, erinnerte er sich an den Ankunftstag der Faujas, als sie in einen schwarzen Fetzen gekleidet war, den Korb, den sie mit beiden Händen festhielt, nicht losließ und mit gelassener Ungezwungenheit wie jemand, der ein zum Verkauf stehendes Haus besichtigt, die Nase in jeden Raum steckte.
    Seit die Faujas im Erdgeschoß aßen, gehörte der zweite Stock den Trouches. Sie gebärdeten sich dort lärmend; der Lärm von herumgeschobenen Möbelstücken, Getrampel, schallende Stimmen

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