Die Eroberung von Plassans - 4
drangen durch die offenen und heftig wieder zugeschlagenen Türen nach unten. Frau Faujas, die eben in der Küche plauderte, hob mit unruhiger Miene den Kopf. Um die Dinge beizulegen, sagte Rose, daß die arme Frau Trouche viel auszustehen habe. Eines Nachts hörte der Abbé, der noch nicht schlafen gegangen war, einen sonderbaren Radau im Treppenhaus. Als er mit seinem Leuchter hinausging, gewahrte er Trouche, der abscheulich betrunken auf den Knien die Stufen heraufrutschte. Er hob ihn mit seinem kräftigen Arm hoch und warf ihn in sein Zimmer. Olympe, die im Bett lag, las seelenruhig einen Roman und trank dabei in kleinen Schlucken einen Grog, der auf dem Nachttisch stand.
»Hört zu«, sagte Abbé Faujas, fahl vor Zorn, »morgen früh packt ihr eure Koffer und reist ab.«
»Nanu, warum denn?« fragte Olympe, ohne sich zu beunruhigen. »Wir fühlen uns hier wohl.«
Aber der Priester unterbrach sie barsch:
»Schweig! Du Unglückselige, du hast mir immer nur zu schaden gesucht. Unsere Mutter hatte recht, ich hätte euch nicht aus eurem Elend ziehen sollen … Jetzt muß ich deinen Mann auf der Treppe auflesen! Es ist eine Schande. Und denke an den Skandal, wenn man ihn in diesem Zustand gesehen hätte … Ihr reist morgen ab.«
Olympe hatte sich aufgesetzt, um einen Schluck Grog zu trinken.
»Ach nein! Das wäre ja noch schöner!« murmelte sie.
Trouche lachte. Er hatte einen fröhlichen Rausch. Er war in einen Sessel gefallen, strahlte vor Freude, war selig.
»Regen wir uns doch nicht auf«, lallte er. »Es ist nichts weiter, bin ein bißchen benommen von der Luft, die sehr scharf ist. Trotzdem sind die Straßen in dieser vermaledeiten Stadt komisch … Ich werde Ihnen sagen, Faujas, es sind sehr anständige junge Leute. Da ist der Sohn von Doktor Porquier. Sie kennen Doktor Porquier gut? – Also, wir treffen uns in einem Café hinter dem Gefängnis. Es gehört einer Arlesierin, einer schönen Frau, einer Brünetten …«
Der Priester hatte die Arme verschränkt und sah ihn mit schrecklicher Miene an.
»Nein, ich versichere Ihnen, Faujas, es ist nicht recht von Ihnen, daß Sie böse auf mich sind … Sie wissen, daß ich ein wohlerzogener Mensch bin, ich weiß, was sich schickt. Aus Angst, Ihnen Unannehmlichkeiten zu machen, würde ich tagsüber nicht einmal ein Glas Fruchtsaft trinken … Kurzum, seit ich hier bin, gehe ich in mein Büro, als ob ich zur Schule ginge, mit Marmeladeschnitten in einem Korb; das ist nämlich ein dummer Beruf. Ich komme mir dumm vor, jawohl, Ehrenwort; und wenn das nicht geschähe, um Ihnen einen Dienst zu erweisen … Aber nachts sieht man mich sicherlich nicht. Nachts kann ich spazierengehen. Das tut mir gut, ich würde am Ende verrecken, wenn ich immer eingesperrt bliebe. Zunächst einmal ist niemand auf den Straßen, sie sind so komisch!«
»Säufer!« sagte der Priester zwischen seinen zusammengepreßten Zähnen.
»Sie schließen keinen Frieden? – Da ist eben nichts zu machen, mein Lieber. Ich bin ein gutmütiger Kerl; ich liebe keine Jammermienen. Wenn Ihnen das mißfällt, lasse ich Sie mit Ihren Betschwestern sitzen. Außer der kleinen Condamin ist kaum eine nett, und die Arlesierin ist noch netter … Sie mögen noch so sehr die Augen rollen, ich brauche Sie nicht. Da, wollen Sie, daß ich Ihnen hundert Francs leihe?« Und er zog Banknoten hervor, die er mit schallendem Gelächter auf seinen Knien ausbreitete; dann ließ er sie umherflattern, schwenkte sie dem Abbé unter der Nase hin und her, warf sie in die Luft.
Halbnackt erhob sich Olympe mit einem Sprung; sie las die Scheine auf, die sie mit ärgerlicher Miene unter der Kopfrolle versteckte.
Unterdessen blickte sich der Abbé sehr überrascht um; er sah auf der ganzen Länge der Kommode Likörflaschen aufgereiht, auf dem Kamin eine kaum angebrochene Pastete, in einer alten, zerrissenen Schachtel Bonbons. Das Zimmer war mit kürzlich gemachten Anschaffungen angefüllt: über die Stühle geworfene Kleider, ein Packen auseinandergefalteter Spitzen, ein nagelneuer, prächtiger Gehrock, der am Fensterriegel hing, ein vor dem Bett ausgebreitetes Bärenfell. Auf dem Nachttisch funkelte neben dem Grog eine kleine goldene Damenuhr in einer Porzellanschale.
Wen haben sie nur ausgeplündert? dachte der Priester. Da entsann er sich, daß er gesehen hatte, wie Olympe Marthe die Hände küßte.
»Aber, Unglückselige«, rief er, »ihr stehlt!«
Trouche erhob sich. Seine Frau beförderte ihn auf das Kanapee.
»Sei
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