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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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das sei kein Leben mehr. Und wenn Marthe ihr versicherte, daß sie in keinerlei Gefahr schwebe, schaute sie sie voller Bewunderung an und rief:
    »Du bist ein Engel! Wäre ich nicht da, würdest du dich umbringen lassen, ohne einen Seufzer von dir zu geben. Aber sei ruhig, ich wache über dich, ich treffe meine Vorsichtsmaßregeln. An dem Tag, da dein Mann den kleinen Finger hebt, wird er von mir hören.«
    Sie drückte sich nicht deutlicher aus. Die Wahrheit war, daß sie allen Behörden von Plassans Besuche abstattete. Auf diese Weise hatte sie dem Bürgermeister, dem Unterpräfekten, dem Gerichtspräsidenten im Vertrauen vom Unglück ihrer Tochter erzählt und sie unbedingte Verschwiegenheit schwören lassen.
    »Eine verzweifelte Mutter wendet sich an Sie«, flüsterte sie unter Tränen. »Ich stelle Ihnen die Ehre, die Würde meines armen Kindes anheim. Mein Mann würde krank werden, wenn es einen öffentlichen Skandal gäbe; und dennoch kann ich nicht irgendeine verhängnisvolle Katastrophe abwarten … Raten Sie mir, sagen Sie mir, was ich tun soll.«
    Die Herren waren reizend zu ihr. Sie beruhigten sie, versprachen ihr, über Frau Mouret zu wachen und sich trotzdem abseits zu halten; im übrigen wurden sie bei der geringsten Gefahr einschreiten. Besonders bestand sie bei Herrn Péqueur des Saulaies und bei Herrn Rastoil darauf, die als Nachbarn ihres Schwiegersohnes unverzüglich eingreifen konnten, wenn irgendein Unglück geschähe.
    Diese Geschichte vom braven Irren, der bis Schlag Mitternacht wartete, um rasend zu werden, machte die Zusammenkünfte der beiden Gesellschaften in Mourets Garten sehr interessant. Man zeigte sich sehr beflissen, Abbé Faujas zu begrüßen. Gleich um vier Uhr kam dieser herunter, gab sich gutmütig als Hausherr in dem Laubengang; er trat weiterhin bescheiden zurück und antwortete durch Kopfschütteln. In den ersten Tagen machte man nur versteckte Anspielungen auf das Drama, das im Haus abrollte; aber an einem Dienstag wagte sich Herr Maffre, der mit unruhiger Miene die Hauswand betrachtete und mit einem Blick auf ein Fenster im ersten Stock wies, mit der Frage heraus: »Das ist das Zimmer, nicht wahr?«
    Die Stimme senkend, unterhielten sich nun die beiden Gesellschaften über die seltsame Begebenheit, die das Viertel außer Fassung brachte. Der Priester gab einige unbestimmte Erklärungen: das sei sehr ärgerlich, sehr traurig, und er bedauerte jedermann, ohne sich weiter vorzuwagen.
    »Aber Sie, Doktor«, fragte Frau de Condamin Herrn Porquier, »Sie, der Sie der Hausarzt sind, was halten Sie von alldem?«
    Doktor Porquier schüttelte lange den Kopf, ehe er antwortete. Er gab sich zunächst wie ein verschwiegener Mann.
    »Das ist sehr heikel«, murmelte er. »Madame Mouret ist nicht bei bester Gesundheit. Was Herrn Mouret betrifft …«
    »Ich habe Madame Rougon gesehen«, sagte der Unterpräfekt.
    »Sie ist sehr beunruhigt.«
    »Ihr Schwiegersohn ist ihr immer lästig gewesen«, unterbrach Herr de Condamin grob. »Ich habe Mouret neulich im Klub getroffen. Er hat mich im Pikett geschlagen. Ich habe gefunden, daß er so intelligent wie sonst ist … Der biedere Mann ist nie ein Genie gewesen.«
    »Ich habe nicht gesagt, daß er verrückt ist, wie es das gemeine Volk versteht«, erwiderte der Doktor, der sich angegriffen glaubte. »Nur sage ich auch nicht, daß es klug wäre, ihn in Freiheit zu lassen.«
    Diese Erklärung rief eine gewisse Aufregung hervor. Herr Rastoil betrachtete instinktiv die Mauer, die die beiden Gärten trennte. Alle Gesichter streckten sich dem Arzt entgegen.
    »Ich habe eine reizende Dame gekannt«, fuhr er fort, »die ein großes Haus hielt, Abendessen gab, die vornehmsten Leute empfing, selber sehr geistreich plauderte. Nun ja, sobald diese Dame auf ihr Zimmer gegangen war, schloß sie sich ein und verbrachte einen Teil der Nacht damit, auf allen vieren in dem Raum umherzulaufen und wie ein Hund zu bellen. Ihre Angehörigen glaubten lange, sie halte einen Hund bei sich versteckt … Diese Dame zeigte einen Fall von dem, was wir Mediziner periodischen Wahnsinn nennen.«
    Abbé Surin unterdrückte ein leichtes Lächeln, als er die beiden Fräulein Rastoil ansah, die diese Geschichte von einer feinen Frau, die einen Hund spielte, erheiterte. Doktor Porquier schneuzte sich gewichtig.
    »Ich könnte zwanzig ähnliche Geschichten anführen«, setzte er hinzu. »Leute, die ihren vollen Verstand zu haben scheinen und sich den überraschendsten

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