Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Galopp!«
    Wie von Sinnen, nahm Mouret einen verzweifelten Anlauf, um seine Tür zu erreichen; aber er trat fehl, er rollte über den Bürgersteig, wo er einige Sekunden kraftlos liegenblieb. Die Gassenjungen, die Furcht vor Fußtritten hatten, standen im Kreis um ihn herum und stießen ein Triumphgeschrei aus, während der ganz kleine gewichtig hervortrat und mit der verfaulten Orange nach ihm warf, die auf seinem linken Auge zerplatzte. Mühselig stand er wieder auf, ging ins Haus, ohne sich abzuwischen. Rose mußte einen Besen nehmen, um die Taugenichtse wegzujagen.
    Von diesem Sonntag an war ganz Plassans davon überzeugt, daß Mouret völlig verrückt war. Man erwähnte seltsame Tatsachen. So schließe er sich beispielsweise ganze Tage in einem kahlen Zimmer ein, in dem seit einem Jahr nicht ausgefegt worden war; und die Sache sei nicht bloß erfunden, da die Leute, die sie erzählten, sie von der Wirtschafterin selber hätten. Was mochte er in diesem kahlen Raum anstellen? Die Ansichten gingen auseinander; die Wirtschafterin sagte, er stelle sich tot, was das ganze Viertel in Schrecken versetzte. Auf dem Markt glaubte man fest, daß er einen Sarg versteckt halte, in dem er sich mit offenen Augen, die Hände auf der Brust, der Länge nach ausstrecke, und das aus purem Vergnügen vom Morgen bis zum Abend.
    »Die Krise drohte ihm seit langem«, sagte Olympe immer wieder in allen Läden. »Den Keim dazu trug er in sich; er wurde traurig, er suchte die Ecken auf, um sich zu verbergen, wissen Sie, so wie Tiere, die krank werden. Ich habe gleich an dem Tage, an dem ich den Fuß in das Haus setzte, zu meinem Mann gesagt: ›Mit dem Hauswirt sieht es schlimm aus.‹ Er hatte gelbe Augen, eine tückische Miene. Und seitdem war das Haus in heller Aufregung … Er hat alle möglichen Schrullen gehabt. Er zählte die Zuckerstücke, schloß sogar das Brot weg. Er hatte einen so schmutzigen Geiz, daß seine arme Frau keine Schuhe mehr anzuziehen hatte … Sie ist eine unglückliche Frau, die ich von ganzem Herzen bedauere! Sie hat was durchgemacht, das kann ich Ihnen sagen! Stellen Sie sich ihr Leben vor mit diesem Wahnsinnigen, der sich nicht einmal mehr bei Tisch anständig zu verhalten weiß; mitten während des Essens wirft er seine Serviette hin, geht wie ein Trampel davon, nachdem er in seinem Teller herumgepatscht hat … Und obendrein ist er zänkisch! Wegen einer Senfdose, die nicht an ihrem Platz stand, machte er Szenen. Jetzt sagt er nichts mehr; er blickt drein wie ein wildes Tier, er springt den Leuten an die Kehle, ohne einen Schrei auszustoßen … Ich erlebe hübsche Dinge. Wenn ich sprechen wollte …« Wenn sie brennende Neugier erweckt hatte und man sie mit Fragen bestürzte, flüsterte sie: »Nein, nein, das geht mich nichts an … Madame Mouret ist eine Heilige, die als wahre Christin leidet; sie hat ihre Ansichten darüber, die muß man achten … Denken Sie doch, er hat ihr mit einem Rasiermesser den Hals abschneiden wollen!«
    Es war immer dieselbe Geschichte, aber sie erzielte eine bestimmte Wirkung: die Fäuste ballten sich, die Frauen sprachen davon, Mouret zu erwürgen. Wenn jemand, der das nicht glaubte, den Kopf schüttelte, so brachte man ihn rundweg in Verlegenheit, indem man ihn aufforderte, eine Erklärung für die allnächtlichen schrecklichen Auftritte zu finden; nur ein Irrer sei imstande, seiner Frau so an die Kehle zu springen, sobald sie sich hinlege. Hierin lag der Anflug von etwas Geheimnisvollem, das besonders dazu beitrug, die Geschichte in der Stadt zu verbreiten. Annähernd einen Monat lang wuchs die Aufregung. In der Rue Balande war den von Olympe verbreiteten tragischen Klatschereien zum Trotz Stille eingetreten, die Nächte verliefen ruhig. Marthe bekam eine nervöse Unruhe, wenn ihr ihre Vertrauten, ohne deutlich zu sprechen, empfahlen, sehr vorsichtig zu sein.
    »Sie wollen nur nach Ihrem Kopf handeln, nicht wahr?« sagte Rose. »Sie werden ja sehen … Er fängt wieder an. Eines Morgens finden wir Sie ermordet.«
    Frau Rougon bemühte sich jetzt, jeden zweiten Tag herbeizueilen. Mit angstvoller Miene trat sie ein, gleich in der Diele fragte sie Rose: »Na? Nichts vorgefallen heute?«
    Wenn sie dann ihre Tochter sah, küßte sie sie mit stürmischer Zärtlichkeit, als habe sie Angst gehabt, sie nicht mehr dort anzutreffen. Sie verbringe entsetzliche Nächte, sagte sie. Bei jedem Klingeln zittere sie, bilde sie sich immer ein, man komme, um ihr irgendein Unglück zu melden;

Weitere Kostenlose Bücher