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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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die schöne Octavie beim Frühstück zu ihm:
    »Was kann es Ihnen ausmachen, daß dieser Mouret verrückt ist?«
    »Mir, teure Freundin? Überhaupt nichts«, erwiderte er erstaunt.
    »Nun, dann lassen Sie ihn verrückt sein, da Ihnen jedermann sagt, daß er verrückt ist … Ich weiß nicht, was Sie für eine Sucht haben, anderer Meinung als Ihre Frau zu sein. Das wird Ihnen kein Glück bringen, mein Lieber … Seien Sie doch so geistvoll, in Plassans nicht geistreich zu sein.«
    Herr de Condamin lächelte.
    »Sie haben wie immer recht«, sagte er galant. »Sie wissen, daß ich mein Glück in Ihre Hände gelegt habe … Warten Sie mit dem Essen nicht auf mich. Ich reite nach SaintEutrope, um kurz nach einem Holzschlag zu sehen.«
    Auf einer Zigarre herumkauend, ging er fort.
    Frau de Condamin wußte sehr wohl, daß er für ein Mädchen in der Gegend von SaintEutrope zärtliche Gefühle hegte. Aber sie war duldsam, sie hatte ihn sogar zweimal vor den Folgen sehr häßlicher Geschichten bewahrt. Was ihn anbelangte, so war er über die Tugend seiner Frau völlig unbesorgt; er wußte, daß sie zu schlau war, als daß sie in Plassans eine Liebschaft hatte.
    »Könnten Sie sich je vorstellen, womit Mouret seine Zeit in dem Zimmer verbringt, in dem er sich einschließt?« fragte der Oberforstmeister am nächsten Tage, als er sich zur Unterpräfektur begab. »Nun ja, er zählt, wie viele S in der Bibel enthalten sind. Er befürchtet, sich geirrt zu haben, und hat seine Berechnung schon dreimal von neuem begonnen … Meiner Treu! Sie hatten recht, er ist von oben bis unten angeknackt, dieser Hanswurst.«
    Und von diesem Augenblick an zog Herr de Condamin Mouret schrecklich ins Lächerliche. Er trieb die Dinge sogar ein bißchen weit, indem er seine ganze Aufschneiderei dafür aufbot, unsinnige Geschichten zu erfinden, die die Familie Rastoil in Bestürzung versetzten. Vornehmlich erkor er sich Herrn Maffre zum Opfer. Eines Tages erzählte er ihm, er habe Herrn Mouret an einem der zur Straße gehenden Fenster gesehen, wie er splitternackt und einzig eine Frauenhaube auf dem Kopf ins Leere Verbeugungen machte. Ein andermal versicherte er mit erstaunlicher Dreistigkeit, daß er sicher sei, in drei Meilen Entfernung Mouret getroffen zu haben, der tief in einem Wäldchen wie ein Wilder herumgetanzt sei; als der Friedensrichter zu zweifeln schien, wurde er ärgerlich und sagte, Mouret könne sich gut über die Regenrinnen auf und davon machen, ohne daß man es merke. Die Vertrauten der Unterpräfektur lächelten; aber gleich am nächsten Tag verbreitete Rastoils Dienstmädchen diese seltsamen Berichte in der Stadt, wo die Sage von dem Mann, der seine Frau schlug, ungewöhnliche Ausmaße annahm.
    Eines Nachmittags erzählte Aurélie, die Ältere der beiden Fräulein Rastoil, errötend, sie habe, als sie sich gegen Mitternacht ans Fenster stellte, den Nachbarn erblickt, der mit einer großen Kerze in seinem Garten umherging. Herr de Condamin glaubte, das junge Mädchen mache sich über ihn lustig; aber sie teilte genaue Einzelheiten mit.
    »Er hielt die Kerze in der linken Hand. Er ist auf die Erde niedergekniet; dann ist er schluchzend auf den Knien gerutscht.«
    »Vielleicht hat er ein Verbrechen begangen und die Leiche in seinem Garten vergraben«, sagte Herr Maffre, der bleich geworden war.
    Da kamen die beiden Gesellschaften überein, wenn es nötig sei, einen Abend bis Mitternacht aufzubleiben, um sich über diese seltsame Begebenheit Klarheit zu verschaffen. In der folgenden Nacht lagen sie in den beiden Gärten auf der Lauer, aber Mouret kam nicht zum Vorschein. Drei Abende gingen so verloren. Die Unterpräfektur gab das Spiel auf; Frau de Condamin weigerte sich, unter den Kastanien zu bleiben, wo eine schreckliche Finsternis herrschte; da zitterte in der vierten Nacht bei tintenschwarzem Himmel in Mourets Erdgeschoß ein Licht hin und her. Herr Péqueur des Saulaies, der verständigt worden war, schlich selber in die ChevillottesSackgasse, um die Familie Rastoil einzuladen, auf die Terrasse seines Hauses zu kommen, von wo aus man den benachbarten Garten übersehe. Der Präsident, der mit seinen Töchtern hinter dem Wasserfall auf der Lauer lag, zögerte kurz, weil er überlegte, daß er sich politisch sehr verpflichtete, wenn er so zum Unterpräfekten ginge; aber die Nacht war so düster, seine Tochter Aurélie legte solch großen Wert darauf, die Wahrheit ihrer Geschichte zu beweisen, daß er Herrn Péqueur des Saulaies mit

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