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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Verstiegenheiten hingeben, sobald sie allein sind. Herr de Bourdeu hat in Valence einen Marquis gut gekannt, den Namen will ich nicht nennen …«
    »Er ist ein enger Freund von mir gewesen«, sagte Herr de Bourdeu. »Er speiste oft in der Präfektur. Seine Geschichte hat ein gewaltiges Aufsehen erregt.«
    »Was für eine Geschichte?« fragte Frau de Condamin, als sie sah, daß der Doktor und der ehemalige Präfekt verstummten. »Die Geschichte ist nicht sehr anständig«, erwiderte Herr de Bourdeu, der zu lachen begann. »Der Marquis, der übrigens keine große Leuchte war, verbrachte ganze Tage in seinem Arbeitszimmer, wo er angeblich an einem großen Werk über Politökonomie arbeitete … Nach sechs Jahren bekam man heraus, daß er dort von morgens bis abends gleichgroße Kügelchen drehte …«
    »Aus seinen Exkrementen«, vollendete der Doktor mit so ernster Stimme, daß das Wort durchging und nicht einmal die Damen dabei erröteten.
    »Ich«, sagte Abbé Bourrette, der sich an diesen Geschichten wie an Märchen ergötzte, »habe ein sehr sonderbares Beichtkind gehabt … Die Dame hatte die Leidenschaft, Fliegen zu töten; sie konnte keine Fliegen sehen, ohne das unwiderstehliche Verlangen zu verspüren, sie zu fangen. Zu Hause reihte sie sie auf Stricknadeln auf. Wenn sie dann beichtete, weinte sie heiße Tränen; sie beschuldigte sich des Todes der armen Tiere, sie hielt sich für verdammt … Ich habe sie nie zu bessern vermocht.«
    Abbé Bourrettes Geschichte fand Beifall. Selbst Herr Péqueur des Saulaies und Herr Rastoil geruhten zu lächeln.
    »Es ist kein großer Schaden, wenn man nur Fliegen tötet«, gab der Doktor zu bemerken. »Aber die periodisch Wahnsinnigen sind nicht alle so harmlos. Es gibt welche, die mit einem zur Manie gewordenen heimlichen Laster ihre Familie quälen; Elende, die trinken, die sich geheimen Ausschweifungen hingeben, die aus dem Bedürfnis zu stehlen stehlen, die vor Hochmut, vor Eifersucht, vor Ehrgeiz sterben. Und sie haben die Gabe, ihren Irrsinn so sehr zu verstellen, daß sie es fertigbringen, auf sich aufzupassen, die verwickeltsten Vorhaben zu Ende zu führen, vernünftig zu antworten, ohne daß jemand ihre zerebralen Läsionen vermuten könnte; sobald sie in die Intimität zurückkehren, sobald sie mit ihren Opfern allein sind, geben sie sich ihren wahnsinnigen Vorstellungen hin, verwandeln sie sich in Henker … Wenn sie nicht morden, töten sie nach und nach.«
    »Herr Mouret also?« fragte Frau de Condamin.
    »Herr Mouret ist immer zänkisch, unruhig, herrisch gewesen. Die Läsion scheint sich mit dem Alter verschlimmert zu haben. Heute zögere ich nicht, ihn unter die bösartigen Irren einzureihen … Ich habe eine Patientin gehabt, die sich wie er in einem abgelegenen Zimmer einschloß, wo sie ganze Tage damit zubrachte, die abscheulichsten Handlungen zu erwägen.«
    »Aber, Herr Doktor, wenn das Ihre Meinung ist, so muß das gemeldet werden!« rief Herr Rastoil. »Sie sollten der zuständigen Stelle Bericht erstatten.«
    Doktor Porquier war leicht verlegen.
    »Wir plaudern«, sagte er und setzte wieder sein Damenarztlächeln auf. »Wenn ich gebraucht werde, wenn die Dinge ernst werden, tue ich meine Pflicht.«
    »Pah!« schloß Herr de Condamin boshaft. »Die sind nicht am meisten verrückt, die man dafür hält … Für einen Irrenarzt gibt es kein gesundes Gehirn … Der Doktor hat uns da eben eine Seite aus einem Buch über periodischen Wahnsinn zitiert, das ich gelesen habe und das interessant wie ein Roman ist.« Abbé Faujas hatte neugierig zugehört, ohne an der Unterhaltung teilzunehmen. Als man dann schwieg, ließ er vernehmen, daß diese Irrengeschichten die Damen traurig stimmen würden; er wollte, daß man von etwas anderem spreche. Aber die Neugier war erwacht; die beiden Gesellschaften begannen, Mourets geringste Handlungen zu belauern. Mouret ging nur noch eine Stunde täglich in den Garten hinunter, und zwar nach dem Mittagessen, während die Faujas mit seiner Frau am Tisch sitzen blieben. Sobald er den Garten betreten hatte, geriet er unter die eifrige Überwachung durch die Familie Rastoil und durch die Vertrauten der Unterpräfektur. Er konnte vor keinem Gemüsebeet stehenbleiben, sich für keinen Salatkopf interessieren, keine Handbewegung wagen, ohne rechts und links in den beiden Gärten zu den unfreundlichsten Ausdeutungen Anlaß zu geben. Alle Welt wandte sich gegen ihn. Allein Herr de Condamin verteidigte ihn noch. Aber eines Tages sagte

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