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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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gehe.«
    »Meiner Frau … Sie ist nicht krank, das sind Lügen!« rief er, in Zorn geratend. »Ihr fehlt nichts, gar nichts … Man nimmt es uns übel, daß wir ruhig zu Hause bleiben … Ach was! Meine Frau und krank! Sie ist sehr kräftig, sie hat niemals auch nur Kopfweh.« Und er redete weiter in kurzen Sätzen, stammelte, seine Augen waren unruhig wie die eines Mannes, der lügt, und er verhaspelte sich beim Sprechen wie ein schweigsam gewordener Schwätzer.
    Die kleinen Rentiers schüttelten mitleidig den Kopf, während sich der Hauptmann mit dem Zeigefinger an die Stirn tippte. Ein ehemaliger Hutmacher aus der Vorstadt, der Mouret vom Schlipsknoten bis zum letzten Knopf seines Gehrocks gemustert hatte, war schließlich in den Anblick seiner Schuhe versunken. Der Schnürsenkel des linken Schuhs war aufgegangen, was dem Hutmacher unerhört vorkam: er stieß seine Nachbarn mit dem Ellbogen an, zeigte ihnen mit einem Augenzwinkern diesen Schnürsenkel, dessen Enden herunterhingen. Bald hatte die ganze Bank nur noch Blicke für den Schnürsenkel, Das war die Höhe. Die Herren zuckten die Achseln, um zu zeigen, daß sie nicht mehr die leiseste Hoffnung hegten.
    »Mouret«, sagte der Hauptmann väterlich, »knoten Sie doch Ihre Schuhbänder zu.«
    Mouret sah auf seine Füße; aber er schien nicht zu verstehen, er fing wieder an zu reden. Da man ihm nicht mehr antwortete, schwieg er, blieb noch einen Augenblick da, setzte schließlich sacht seinen Spaziergang fort.
    »Er wird bestimmt hinfallen«, erklärte der Gerbermeister und erhob sich, um ihn länger zu sehen. »Na? Ist er ulkig? Hat er genug gefaselt?«
    Als Mouret am Ende des Cours Sauvaire vor dem Jugendklub vorbeikam, hörte er wieder das erstickte Gelächter, das ihn begleitete, seit er den Fuß auf die Straße gesetzt hatte. Auf der Schwelle des Klubs sah er deutlich Séverin Rastoil, der eine Gruppe junger Leute auf ihn aufmerksam machte. Ohne Frage war er es, über den die Stadt so lachte. Von einer Art Angst erfaßt, weil er sich diese Verfolgungssucht nicht erklären konnte, senkte er den Kopf und drückte sich an den Häusern entlang. Als er in die Rue Canquoin einbiegen wollte, hörte er hinter sich ein Geräusch; er wandte den Kopf, er erblickte drei Gassenjungen, die ihm nachkamen: zwei große Gassenjungen, die frech aussahen, und einen ganz kleinen, der sehr ernst war und eine alte, im Rinnstein aufgelesene Orange in der Hand hielt. Dann ging er die Rue Canquoin hinunter, kürzte den Weg über den Place des Récollets ab, war in der Rue de la Banne. Die Gassenjungen kamen ihm immer noch nach.
    »Soll ich euch die Ohren langziehen?« schrie er sie an und schritt unvermittelt auf sie zu.
    Sie sprangen zur Seite, lachten, brüllten, entwischten auf allen vieren. Mouret, der hochrot war, kam sich lächerlich vor. Er war bemüht, sich zu beruhigen; er verfiel wieder in seinen Spaziergängerschritt. Es versetzte ihn in Entsetzen, den Place de la SousPréfecture zu überqueren und mit diesem Gefolge von Taugenichtsen, das er hinter seinem Rücken anwachsen und kesser werden hörte, unter Rougons Fenstern vorbeizugehen. Als er ausschritt, wurde er ausgerechnet gezwungen, einen Umweg zu machen, um seiner Schwiegermutter auszuweichen, die in Begleitung von Frau de Condamin vom Nachmittagsgottesdienst nach Hause kam.
    »Haltet ihn! Haltet ihn!« schrien die Bengel.
    Mouret, dem der Schweiß auf die Stirn trat und dessen Füße über das Pflaster stolperten, hörte, wie die alte Frau Rougon zur Frau des Oberforstmeisters sagte:
    »Oh! Sehen Sie nur, der Unglückselige! Es ist eine Schande, wir können das nicht länger dulden.«
    Da begann Mouret unwiderstehlich zu laufen. Mit ausgestreckten Armen rannte er kopflos in die Rue Balande, wohin sich mit ihm die Bande der Gassenjungen, zehn oder zwölf an der Zahl, wie in einen Abgrund stürzte. Es schien ihm, als wälzten sich die Ladenbesitzer der Rue de la Banne, die Marktweiber, die Spaziergänger vom Cours Sauvaire, die jungen Herren aus dem Klub, die Rougons, die Condamins, ganz Plassans mit seinem erstickten Gelächter hinter seinem Rücken die abschüssige Straße entlang. Die Kinder stampften mit den Füßen, rutschten auf dem Kopfsteinpflaster aus, machten in dem ruhigen Viertel einen Lärm wie eine losgelassene Hundemeute.
    »Fang ihn!« brüllten sie.
    »Hep, hep! Er ist hübsch drollig mit seinem Gehrock!«
    »Heda! Ihr anderen da, lauft durch die Rue Taravelle, nehmt ihn in die Zange.«
    »Galopp!

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