Die Eroberung von Plassans - 4
ehrenwerten Vater aufs tiefste und gibt der studentischen Jugend von Plassans die schlimmsten Beispiele. In Paris hat er nichts als Schulden zurückgelassen, hier stellt er die Stadt auf den Kopf … Was Herrn de Condamin angeht …« Er hielt abermals inne, weil ihn die ungeheuerlichen Dinge, die er zu erzählen hatte, in Verlegenheit brachten; dann fuhr er fort und senkte dabei die Lider: »Herr de Condamin ist mit Worten sehr leichtfertig, und ich fürchte, er hat kein Gewissen. Er verschont niemanden, er erregt bei allen ehrbaren Seelen Ärgernis … Kurzum, ich weiß nicht recht, wie ich Ihnen das beibringen soll, man sagt, er habe eine wenig rühmliche Ehe geschlossen. Sehen Sie diese junge, noch nicht dreißigjährige Frau, die so umringt ist. Nun ja! Er hat sie uns eines Tages nach Plassans gebracht, man weiß nicht recht woher. Vom Tage nach ihrer Ankunft an war sie hier allmächtig. Sie war es, die ihrem Mann und Doktor Porquier Orden verschafft hat. Sie hat Freunde in Paris … Ich bitte Sie, erzählen Sie diese Dinge nicht weiter. Madame de Condamin ist sehr liebenswürdig, sehr mildtätig. Ich gehe manchmal zu ihr, ich wäre untröstlich, wenn sie mich für ihren Feind hielte. Wenn sie Fehler hat, die zu verzeihen sind, so ist es unsere Pflicht, ihr zu helfen, zum Guten zurückzukommen, nicht wahr? Was den Gatten anbelangt, so ist er ein schlechter Mensch, unter uns gesagt. Seien Sie ihm gegenüber kühl.«
Abbé Faujas sah dem würdigen Bourrette in die Augen. Er hatte eben bemerkt, daß Frau Rougon mit besorgter Miene ihrem Gespräch von ferne folgte.
»Hat Madame Rougon Sie nicht gebeten, mir einen guten Wink zu geben?« fragte er plötzlich den alten Priester.
»Sieh mal einer an, wieso wissen Sie das?« rief dieser sehr erstaunt aus. »Sie hatte mich gebeten, nicht von ihr zu sprechen; aber da Sie ja erraten haben … Sie ist eine gute Frau und wäre sehr bekümmert, wenn sie sähe, daß ein Priester bei ihr eine schlechte Rolle spielt. Sie ist leider gezwungen, alle möglichen Leute zu empfangen.«
Abbé Faujas dankte und versprach, vorsichtig zu sein. Die Spieler rings um die beiden hatten nicht aufgeblickt. Er ging in den großen Salon zurück, wo er sich wieder in feindseliger Umgebung fühlte; er stellte sogar mehr Kälte, mehr stumme Verachtung fest. Wo er vorbeikam, schoben sich die Röcke beiseite, als würde er sie beschmutzen; die Fracks wandten sich mit leichtem Grinsen ab. Er aber wahrte eine prachtvolle Erhabenheit. Als er zu hören meinte, wie in der Zimmerecke, in der Frau de Condamin thronte, das Wort Besançon mit besonderer Betonung ausgesprochen wurde, schritt er geradewegs auf die Gruppe zu, die sich um sie gebildet hatte; aber bei seinem Nähern legte sich die Unterhaltung mit einemmal, und vor boshafter Neugier glänzend, blickten ihn alle Augen scharf an. Sicher sprach man über ihn, erzählte man irgendeine häßliche Geschichte. Als er dann hinter den beiden Fräulein Rastoil stand, die ihn nicht bemerkt hatten, hörte er, wie die Jüngere die Altere fragte:
»Was hat er denn in Besançon gemacht, dieser Priester, von dem alle Welt spricht?«
»Ich weiß nicht recht«, antwortete die Ältere. »Ich glaube, er hat in einem Streit beinahe seinen Pfarrer erwürgt. Papa sagt auch, daß er sich auf ein großes Industriegeschäft eingelassen hat, das schiefgegangen ist.«
»Aber er ist dort im kleinen Salon, nicht wahr? – Man hat eben gesehen, wie er mit Herrn de Condamin lachte.«
»Nun, wenn er mit Herrn de Condamin lacht, hat man recht, ihm zu mißtrauen.«
Dieses Geschwätz der beiden Fräulein trieb Abbé Faujas Schweiß auf die Schläfen. Er verzog keine Miene; sein Mund wurde schmal, seine Wangen nahmen eine erdige Tönung an. Jetzt hörte er, wie der ganze Salon von dem Pfarrer sprach, den er erwürgt, von verdächtigen Geschäften, auf die er sich eingelassen hatte. Herr Delangre und Doktor Porquier blieben ihm gegenüber streng; Herr de Bourdeu ließ geringschätzig den Mund hängen, während er leise mit einer Dame sprach; Herr Maffre, der Friedensrichter, betrachtete ihn frommerweise heimlich, beschnüffelte ihn von fern, ehe er sich entschied zuzubeißen; und am anderen Ende des Raumes streckten die beiden Scheusale, das Ehepaar Paloque, ihre galligen Gesichter vor, auf denen die boshafte Freude über die mit leiser Stimme weitergegebenen Grausamkeiten entbrannte. Abbé Faujas zog sich langsam zurück, als er sah, wie sich Frau Rastoil, die einige Schritte
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