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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Ähnlichkeit habe in diesem Fall zwei Generationen übersprungen. Und seine Schwester erinnere in allem an den guten Mann, in ihrem Charakter, ihren Gewohnheiten, sogar in den Handbewegungen und im Klang ihrer Stimme.
    »Das ist wie bei mir«, sagte Marthe. »Als ich klein war, hörte ich immerzu: ›Sie ist Tante Dide ganz aus dem Gesicht geschnitten.‹ Die arme Frau ist jetzt in Les Tulettes; sie hatte immer einen leichten Stich gehabt … Mit den Jahren bin ich ganz und gar ruhig geworden, ist es mir gesundheitlich besser gegangen; aber ich erinnere mich, mit zwanzig Jahren war ich nicht gerade sattelfest, ich hatte Schwindelanfälle, verschrobene Ideen. Sehen Sie, ich lache immer noch, wenn ich daran denke, was für ein seltsames Mädchen ich abgab.«
    »Und Ihr Gatte?«
    »Oh! Er hat von seinem Vater, einem Hutmacher, eine vernünftige und überlegte Natur … Unsere Gesichter ähnelten sich; aber was das Innere anbelangt, so war das anders … Mit der Zeit sind wir einander völlig ähnlich geworden. Wir waren so ruhig, in unserm Laden in Marseille! Ich habe dort fünfzehn Jahre verlebt, die mich gelehrt haben, zu Hause inmitten meiner Kinder glücklich zu sein.«
    Jedesmal wenn Abbé Faujas sie auf dieses Thema brachte, spürte er in ihr eine leichte Bitterkeit. Gewiß war sie glücklich, wie sie sagte, aber er glaubte, in dieser nervösen Natur, die sich beruhigt hatte, als sie sich den Vierzigern näherte, frühere Kämpfe zu ahnen. Und er stellte sich dieses Drama vor, diese Frau und diesen Mann, deren Gesichter sich ähnelten, die alle ihre Bekannten als füreinander geschaffen erachteten, während auf dem Grunde ihres Wesens der Gärstoff der Bastardschaft, der Widerstreit des vermischten und stets in Aufruhr befindlichen Blutes den Gegensatz zweier verschiedener Temperamente aufreizte. Dann erklärte er sich das schicksalhafte Abschleifen der Gegensätze durch ein regelmäßiges Leben, den Verschleiß der Charaktere durch die täglichen Geschäftssorgen, das Einschläfern dieser beiden Naturen in jenem innerhalb von fünfzehn Jahren erworbenen Vermögen, das im tiefsten Winkel eines öden Kleinstadtviertels bescheiden verzehrt wurde. Obwohl sie heute beide noch jung waren, schienen sie nur noch Asche in sich zu haben. Der Abbé versuchte geschickt zu erfahren, ob Marthe sich damit abgefunden hatte. Er fand sie sehr vernünftig.
    »Nein«, sagte sie, »ich bin gerne zu Hause; meine Kinder genügen mir. Ich bin nie sehr fröhlich gewesen. Ich langweilte mich ein bißchen, weiter nichts; ich hätte eine geistige Beschäftigung haben müssen, die ich nicht gefunden habe … Aber wozu? Ich hätte mir vielleicht den Kopf zerbrochen. Ich konnte nicht einmal einen Roman lesen, ohne gräßliche Kopfschmerzen zu bekommen; drei Nächte lang tanzten mir alle Personen im Gehirn herum … Nur die Näherei hat mich nie angegriffen. Ich bleibe zu Hause, um all dem Lärm von draußen, diesen Klatschereien, diesen Albernheiten, die mich angreifen, aus dem Weg zu gehen.« Sie hielt bisweilen inne, betrachtete Désirée, die am Tisch eingeschlafen war und im Schlummer ihr Lächeln der Einfalt lächelte. »Armes Kind!« flüsterte sie. »Sie kann nicht einmal nähen, sie bekommt sofort Schwindelanfälle … Sie liebt nur die Tiere. Wenn sie einen Monat bei ihrer Amme verbringt, lebt sie im Hühnerhof und kommt mit rosigen Wangen völlig gesund zu mir zurück.«
    Und sie sprach oft mit einer dumpfen Angst vor dem Wahnsinn in Les Tulettes. Abbé Faujas merkte auf diese Weise, daß tief in diesem so friedlichen Hause eine seltsame Verstörtheit herrschte. Marthe war ihrem Mann gewiß in guter Freundschaft zugetan; nur drang in ihre Zuneigung eine Furcht vor Mourets Scherzen, seinen fortwährenden Neckereien. Auch wurde sie durch seine Ichsucht gekränkt, durch die Verlassenheit, in der er sie ließ; sie hegte einen unbestimmten Groll gegen ihn wegen des Friedens, den er rings um sie geschaffen hatte, wegen jenes Glückes, über das sie sich glücklich pries. Wenn sie von ihrem Mann sprach, sagte sie immer wieder:
    »Er ist sehr gut zu uns … Sie müssen ihn manchmal schreien hören; das kommt vor, weil er in allen Dingen Ordnung liebt, sehen Sie, so sehr, daß es oft lächerlich wirkt; er ärgert sich über einen Blumentopf, der im Garten verrückt worden ist, über ein Spielzeug, das auf dem Parkett herumliegt … Andererseits hat er ganz recht, nur nach seinem Kopf zu handeln. Ich weiß, daß man ihm übel will, weil er

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