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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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verzweifeln«, sagte der Priester mit seiner tiefen Stimme. »Zweifellos kannte sie die Tröstungen des Gebets nicht. Ich habe oft gesehen, wie Leute weinend, gebrochen zu uns kamen, und sie gingen mit einer anderswo vergebens gesuchten Ergebenheit, einer Lebensfreude davon. Und das nur, weil sie niedergekniet waren, weil sie das Glück gekostet hatten, sich in einem verlassenen Winkel der Kirche zu demütigen. Sie kamen wieder, sie vergaßen alles, sie gehörten Gott.«
    Marthe hatte diesen Reden, deren letzte Worte in einem Klang übermenschlicher Glückseligkeit verhauchten, mit träumerischem Gesichtsausdruck gelauscht.
    »Ja, das muß ein Glück sein«, flüsterte sie, gleichsam zu sich selber sprechend. »Ich habe manchmal daran gedacht, aber immer Angst gehabt.«
    Der Abbé berührte nur sehr selten solche Themen; dagegen sprach er oft von Mildtätigkeit. Marthe war sehr gut; beim Bericht des geringsten Mißgeschicks stiegen ihr die Tränen in die Augen. Er schien Gefallen daran zu finden, sie so vor Erbarmen erschauern zu sehen; jeden Abend hatte er irgendeine neue rührende Geschichte, er zerbrach sie durch ständiges Mitleiden, das sie gänzlich unterwarf. Sie ließ ihre Handarbeit sinken, faltete mit schmerzerfülltem Gesicht die Hände und schaute ihn an, während er auf herzzerreißende Einzelheiten einging über Leute, die Hungers sterben, über Unglückliche, die das Elend zu bösen Taten treibt. Dann gehörte sie ihm; er hätte mit ihr machen können, was er wollte. Und oft brach am anderen Ende des Zimmers zwischen Mouret und Frau Faujas ein Streit über einen zu Unrecht angesagten Königsvierer oder über eine vom Skat weggenommene Karte aus.
    Es war gegen Mitte Februar, als eine beklagenswerte Begebenheit Plassans in Bestürzung versetzte. Man entdeckte, daß eine Schar ganz junger Mädchen, fast Kinder noch, durch ihr Herumtreiben auf den Straßen in ein Lotterleben abgeglitten war; und die Geschichte spielte sich nicht nur unter Gassenkindern im gleichen Alter ab, man sagte, daß angesehene Persönlichkeiten sich bloßgestellt sehen würden. Acht Tage lang setzte diese Geschichte, die gewaltigen Lärm machte, Marthe zu; sie kannte eine der Unglückseligen, ein blondes Mädchen, das sie oft geliebkost hatte, die Nichte ihrer Köchin Rose; sie könne nicht mehr an diese arme Kleine denken, sagte sie, ohne daß ihr ein Schauer über den ganzen Körper laufe.
    »Es ist ärgerlich«, sagte Abbé Faujas eines Abends zu ihr, »daß es in Plassans keine fromme Stiftung gibt wie in Besançon.«
    Und von Marthe mit Fragen bedrängt, erzählte er ihr, was dies für eine fromme Stiftung sei. Es handele sich um eine Art Hort für Arbeitermädchen von acht bis fünfzehn Jahren, die die Eltern allein zu Hause lassen müssen, wenn sie zu ihrer Arbeit gehen. Man beschäftige sie tagsüber mit Näharbeiten; am Abend bringe man sie zu den Eltern zurück, wenn diese nach Hause kommen. Auf diese Weise wüchsen die armen Kinder fern vom Laster, inmitten bester Beispiele heran.
    Marthe fand den Gedanken hochherzig. Und nach und nach wurde sie derart davon eingenommen, daß sie nur noch von der Notwendigkeit sprach, in Plassans ein solches Haus zu schaffen.
    »Man würde es unter die Schutzherrschaft der Muttergottes stellen«, gab Abbé Faujas zu verstehen. »Aber was für Schwierigkeiten sind zu überwinden! Sie kennen die Mühen nicht, die das geringste gute Werk kostet. Um ein solches Werk zum Guten zu leiten, braucht man ein mütterliches, heißes, ganz ergebenes Herz.«
    Marthe senkte den Kopf, betrachtete die neben ihr eingeschlafene Désirée, fühlte Tränen an ihren Augenlidern. Sie erkundigte sich nach den Schritten, die zu tun wären, nach den Einrichtungskosten, den jährlichen Ausgaben.
    »Wollen Sie mir helfen?« fragte sie eines Abends unvermittelt den Priester.
    Ernst ergriff Abbé Faujas ihre Hand, die er einen Augenblick in der seinen behielt, während er murmelte, sie habe eine der schönsten Seelen, denen er bis jetzt begegnet sei. Er nehme an, aber er rechne völlig auf sie; er vermöge sehr wenig. Sie müsse in der Stadt Damen suchen, um ein Komitee zu bilden, das die Subskriptionen zusammenbrächte, das, mit einem Wort, die so heiklen, so mühseligen Einzelheiten eines Aufrufs an die Mildtätigkeit der Öffentlichkeit übernähme. Und er verabredete sich mit ihr gleich für den nächsten Tag in der Kirche SaintSaturnin, um sie mit dem Architekten der Diözese bekannt zu machen, der sie viel

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