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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Nächstenliebe legte noch mehr Sanftheit in ihre Plauderei. Ihnen gegenüber erhob sich zwischen Herrn Rastoils riesigen Birnbäumen und den düsteren Kastanien der Unterpräfektur ein breites Stück Himmel. Die Kinder rannten am anderen Ende des Gartens unter den Laubengängen umher, während im Wohnzimmer kurze Streitigkeiten die Stimmen von Mouret und Frau Faujas, die allein geblieben und aufs Spiel versessen waren, jäh anschwellen ließen.
    Und zuweilen hielt Marthe, wenn sie die goldene Rakete einer Sternschnuppe sah, gerührt inne, von einer Mattigkeit durchdrungen, die die Worte langsamer über ihre Lippen kommen ließ. Den Kopf etwas hintüber geworfen, lächelte sie und betrachtete den Himmel.
    »Noch eine Seele aus dem Fegefeuer, die ins Paradies eingeht«, flüsterte sie. Da der Priester schweigsam blieb, fügte sie hinzu: »Das ist ein reizender Glaube, alle diese einfältigen Vorstellungen … Man müßte immer ein kleines Mädchen bleiben, Herr Abbé.«
    Jetzt besserte sie abends nicht mehr die Wäsche der Familie aus. Man hätte dazu eine Lampe auf der Terrasse anzünden müssen, und ihr war dieses Dunkel lieber, diese laue Nacht, in deren Tiefe sie sich wohl fühlte. Im übrigen ging sie fast täglich aus dem Haus, was sie sehr anstrengte. Nach dem Essen hatte sie nicht einmal den Mut, eine Nadel zur Hand zu nehmen. Rose mußte sich daranmachen, die Wäsche auszubessern, als sich Mouret beklagt hatte, alle seine Socken seien durchlöchert.
    Marthe war tatsächlich sehr beschäftigt. Außer den Sitzungen des Komitees, in denen sie den Vorsitz führte, hatte sie eine Menge Sorgen, Besuche zu machen, Aufsicht zu führen. Wohl überließ sie die Schreibarbeiten und die unbedeutenden Erledigungen Frau Paloque; aber sie empfand ein solches Fieber, das Werk endlich in Betrieb zu sehen, daß sie bis zu dreimal wöchentlich in die Vorstadt ging, um sich vom Eifer der Arbeiter zu überzeugen. Da die Dinge ihr stets zu langsam zu gehen schienen, eilte sie zur Kirche SaintSaturnin, um den Architekten aufzusuchen, schalt ihn, flehte ihn an, ihre Leute nicht im Stich zu lassen, war sogar auf die Arbeiten, die er in der Kirche ausführte, eifersüchtig, weil sie fand, daß die Ausbesserung der Kapelle viel schneller voranschritt. Herr Lieutaud lächelte und versicherte ihr, alles würde zum vereinbarten Zeitpunkt fertig sein.
    Auch Abbé Faujas erklärte, nichts gehe voran. Er drängte sie, dem Architekten keine Minute Ruhe zu lassen. Darauf kam Marthe schließlich täglich nach SaintSaturnin. Wenn sie die Kirche betrat, hatte sie den Kopf voller Zahlen, war ausschließlich mit einzureißenden und aufzubauenden Mauern beschäftigt. Die Kälte der Kirche beruhigte sie ein bißchen. Sie nahm Weihwasser, bekreuzigte sich mechanisch, um es wie alle Welt zu machen. Mittlerweile kannten die Kirchendiener sie und grüßten sie schließlich; sie selbst machte sich mit den verschiedenen Kapellen vertraut, mit der Sakristei, wo sie manchmal Abbé Faujas aufsuchte, den großen Gängen, den kleinen Klosterhöfen, die man sie durchqueren ließ. Nach Ablauf eines Monats gab es in SaintSaturnin keinen Winkel mehr, den sie nicht kannte. Zuweilen mußte sie auf den Architekten warten; sie setzte sich in eine abseits gelegene Kapelle, ruhte sich von ihrem zu schnellen Laufen aus, ging tief in ihrem Gedächtnis wieder die tausend Empfehlungen durch, die sie Herrn Lieutaud machen wollte; dann stürzten sie diese große, fröstelnde Stille, die sie einhüllte, dieses fromme Dunkel der Kirchenfenster in eine Art unbestimmter und süßer Träumerei. Sie begann die hohen Gewölbe zu lieben, die feierliche Nacktheit der Mauern, die mit ihren Schonbezügen verdeckten Altäre, die gleichmäßig hintereinander aufgestellten Stühle. Sobald die gepolsterte Doppeltür weich hinter ihr zufiel, war das gleichsam ein Gefühl erhabener Ruhe, des Vergessens irdischer Plagen, des völligen Auslöschens all ihres Seins im Frieden der Erde.
    »In SaintSaturnin, da ist gut sein«, ließ sie sich eines Abends nach einem heißen Gewittertag in Gegenwart ihres Mannes entschlüpfen.
    »Willst du, daß wir dorthin schlafen gehen?« fragte Mouret lachend.
    Marthe war gekränkt. Dieser Gedanke an das rein körperliche Wohlbefinden, das sie in der Kirche empfand, beleidigte sie wie etwas Unschickliches. Sie ging nur noch mit einer leichten Unruhe nach Saint Saturnin, bemühte sich, gleichgültig zu bleiben, dort ebenso hineinzugehen, wie sie in die großen

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