Die Eroberung von Plassans - 4
freitags die Beichte ab. An diesen Tagen vermied es Marthe, sich in die Kirche SaintSaturnin zu begeben. Sie sagte, sie wolle ihn nicht stören; aber mehr noch gehorchte sie jener Art erschreckten Schamgefühls, das sie in Verlegenheit brachte, wenn sie ihn im Chorhemd antraf, dessen Musselin die verschwiegenen Gerüche der Sakristei mitbrachte. Eines Freitags ging sie mit Frau de Condamin nachsehen, wie es um die Arbeiten am Marienwerk stand. Die Arbeiter vollendeten die Fassade. Frau de Condamin erhob lauten Einspruch, weil sie die Verzierung armselig und ohne Eigenart fand; zwei leichte Säulen mit einem Spitzbogen wären nötig, etwas zugleich Jugendliches und Religiöses, ein bißchen Architektur, das dem Komitee der Wohltätigkeitsdamen Ehre mache. Marthe, die zögerte und allmählich schwankend wurde, gab schließlich zu, daß das tatsächlich recht dürftig sei. Da die andere sie drängte, versprach sie, noch am gleichen Tag mit Herrn Lieutaud zu sprechen. Ehe sie nach Hause zurückkehrte, ging sie, um Wort zu halten, bei der Kathedrale vorbei. Es war vier Uhr, der Architekt war eben weggegangen. Als sie nach Abbé Faujas fragte, antwortete ihr ein Sakristan, er nehme in der Sainte AurélieKapelle die Beichte ab. Jetzt erst erinnerte sie sich, welcher Wochentag war, und flüsterte, sie könne nicht warten, Aber als sie sich zurückzog und an der SainteAurélieKapelle vorbeikam, dachte sie, der Abbé habe sie vielleicht gesehen. Die Wahrheit war, daß sie sich von einer sonderbaren Schwäche befallen fühlte. Sie setzte sich außerhalb der Kapelle an das Gitter. Sie blieb da.
Der Himmel war grau, die Kirche füllte sich mit langsamer Dämmerung. In den schon finsteren Seitenschiffen glänzten der Stern einer Ampel, der goldene Fuß eines Leuchters, das Silbergewand einer Muttergottes; und das Hauptschiff entlanglaufend, erstarb ein bleicher Strahl auf dem polierten Eichenholz der Bänke und Chorstühle. Marthe hatte eine solche Hingabe ihrer selbst dort noch nicht empfunden; die Beine waren ihr wie gebrochen; ihre Hände waren so schwer, daß sie sie über den Knien faltete, um nicht die Mühe zu haben, sie zu tragen. Sie überließ sich einem Schlummer, in dem sie weiterhin, aber auf eine ganz sanfte Art, sah und hörte. Die leisen Geräusche, die unter dem Gewölbe dahinrollten, das Umfallen eines Stuhls, der Schritt einer verspäteten Andächtigen rührten sie, nahmen einen musikalischen Wohlklang an, der sie bis ins Innerste bezauberte; während der letzte Widerschein des Tageslichts, die Schatten, die wie Schonbezüge an den Pfeilern emporglitten, für sie die Zartheit schillernder Seide annahmen, übermannte sie eine köstliche Ohnmacht, auf deren Grund sie ihr Wesen dahinschmelzen und sterben fühlte. Dann verlosch alles um sie her. Sie war vollkommen glücklich in irgend etwas Namenlosem.
Der Klang einer Stimme riß sie aus ihrer Verzückung.
»Es tut mir sehr leid«, sagte Abbé Faujas. »Ich hatte Sie bemerkt, aber ich konnte nicht weg …«
Da schien sie aus dem Schlummer aufzufahren. Sie blickte ihn an. Er war im Chorhemd, stand aufrecht in dem sterbenden Tageslicht. Sein letztes Beichtkind war eben gegangen, und die leere Kirche versank in noch größere Feierlichkeit.
»Sie hatten mit mir zu sprechen?« fragte er.
Sie strengte sich an, suchte sich zu erinnern.
»Ja«, flüsterte sie, »ich weiß nicht mehr … Ach! Es ist wegen der Fassade, die Madame de Condamin zu ärmlich findet. Statt dieser platten, nichtssagenden Tür wären zwei Säulen nötig. Man würde einen Spitzbogen mit Kirchenfenstern anbringen. Das wäre sehr hübsch … Sie verstehen, nicht wahr?«
Er betrachtete sie mit unergründlicher Miene, hatte die Hände über dem Chorhemd verschlungen, überragte sie, neigte sein ernstes Gesicht zu ihr herab; und sie, die noch immer saß und nicht die Kraft hatte, sich aufrecht zu halten, stammelte noch heftiger, wie überrascht in einem Schlummer ihres Willens, den sie nicht abschütteln konnte.
»Das wäre noch eine Ausgabe, das stimmt … Man könnte sich mit Säulen aus leicht zu bearbeitendem Gestein, mit einem schlichten Gesims zufriedengeben … Wir werden mit dem Maurermeister darüber sprechen, wenn Sie wollen; er wird uns den Preis sagen. Nur wäre es gut, zuvor seine letzte Rechnung zu begleichen. Ich glaube, sie beläuft sich auf zweitausend und einige Francs. Wir haben die Mittel, Madame Paloque hat es mir heute früh gesagt … All das läßt sich einrichten, Herr
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