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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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seinem Abgang vom Gymnasium zögerte sein Vater, da er ihn so schwächlich sah, ihn nach Paris zu schicken, um sein Jurastudium aufzunehmen. Von einer Provinzfakultät wollte er nichts hören. Seiner Meinung nach war Paris notwendig für einen Jungen, der es weit bringen wollte. Er setzte großen Ehrgeiz in seinen Sohn, sagte, daß viel größere Dummköpfe – seine Cousins Rougon beispielsweise – hübsch vorangekommen seien. Jedesmal wenn der junge Mann ihm frisch und gesund erschien, setzte er seine Abreise auf die ersten Tage des folgenden Monats fest; dann wurde der Koffer ewig nicht fertiggepackt, der junge Mann hustete ein bißchen, die Abreise wurde erneut verschoben.
    Marthe begnügte sich in ihrer gleichgültigen Sanftheit jedesmal zu flüstern:
    »Er ist noch keine zwanzig Jahre. Es ist nicht gerade klug, ein so junges Kind nach Paris zu schicken … Übrigens verliert er seine Zeit hier nicht. Du findest selbst, daß er zuviel arbeitet.«
    Serge begleitete seine Mutter zur Messe. Er war religiös veranlagt, sehr zart und sehr ernst. Da Doktor Porquier ihm viel Bewegung verordnet hatte, hatte er eine Leidenschaft zur Botanik gefaßt, machte Exkursionen und verbrachte seine Nachmittage damit, die Kräuter, die er gepflückt hatte, zu trocknen, sie aufzukleben, einzuordnen und zu etikettieren. Zu der Zeit wurde Abbé Faujas sein großer Freund. Der Abbé hatte früher Pflanzen gesammelt; er gab ihm gewisse praktische Ratschläge, für die sich der junge Mann sehr dankbar zeigte. Sie liehen einander einige Bücher, gingen eines Tages gemeinsam auf die Suche nach einer Pflanze, von der der Priester sagte, sie müsse in der Gegend wachsen. Wenn Serge leidend war, erhielt er jeden Morgen den Besuch seines Nachbarn, der lange am Kopfende seines Bettes plauderte. An den anderen Tagen, wenn er wieder auf den Beinen war, klopfte er an Abbé Faujas˜ Tür, sobald er ihn in seinem Zimmer gehen hörte. Sie waren nur durch einen schmalen Treppenabsatz getrennt. Sie lebten schließlich einer beim anderen.
    Oft brauste Mouret trotz Marthes unempfindlicher Ruhe und Roses gereiztem Blick noch auf.
    »Was kann er da oben machen, dieser Schlingel?« schalt er. »Es vergehen ganze Tage, ohne daß ich ihn auch nur erblicke. Er kommt bei dem Pfarrer nicht mehr heraus; sie haben stets was in den Ecken zu reden … Zunächst einmal wird er nach Paris abreisen. Er ist kräftig wie ein Türke. Alle diese Wehwehchen sind Mätzchen, um sich verhätscheln zu lassen. Ihr könnt mich beide noch so sehr ansehen, ich will nicht, daß der Pfarrer aus dem Kleinen einen Mucker macht.«
    Dann belauerte er seinen Sohn. Wenn er ihn beim Abbé wähnte, rief er ihn barsch.
    »Es wäre mir lieber, er ginge zu Weibern!« schrie er eines Tages erbittert.
    »Oh! Herr Mouret«, sagte Rose, »solche Gedanken sind abscheulich.«
    »Jawohl, zu Weibern! Und ich werde ihn selber hinführen, wenn ihr mich mit eurem Pfaffengesindel zum Äußersten treibt!«
    Serge gehörte natürlich dem Jugendklub an. Übrigens ging er wenig dorthin, weil er seine Einsamkeit vorzog. Wenn Abbé Faujas, mit dem er sich manchmal dort traf, nicht da gewesen wäre, hätte er zweifellos nie den Fuß hineingesetzt. Der Abbé brachte ihm im Lesezimmer Schachspielen bei. Mouret, der erfuhr, daß »der Kleine« selbst im Café wieder mit dem Pfarrer zusammentraf, schwor, er werde ihn gleich am kommenden Montag zur Bahn bringen. Der Koffer war gepackt, und diesmal allen Ernstes; da kam Serge, der einen letzten Vormittag draußen in freier Flur hatte verbringen wollen, von einem plötzlichen Regenguß durchnäßt, nach Hause. Er mußte sich mit vor Fieber klappernden Zähnen ins Bett legen. Drei Wochen lang schwebte er zwischen Leben und Tod. Die Genesung dauerte zwei gute Monate. Vor allem in den ersten Tagen war er so schwach, daß er, den Kopf durch Kissen ein wenig aufgerichtet, die Arme auf den Bettüchern ausgestreckt, wie eine Wachsfigur dalag.
    »Das ist Ihre Schuld, Herr Mouret«, schrie die Köchin Mouret an. »Wenn das Kind stirbt, haben Sie es auf dem Gewissen.« Solange sein Sohn in Gefahr war, strich Mouret verdüstert und mit rotgeweinten Augen geräuschlos im Haus umher. Selten ging er hinauf, trat in der Diele von einem Bein auf das andere, um den Arzt abzupassen, wenn der von dem Kranken kam. Als er wußte, daß Serge gerettet war, schlich er in das Zimmer und bot seine Dienste an. Aber Rose setzte ihn vor die Tür. Man brauche ihn nicht; das Kind sei noch nicht

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