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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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kräftig genug, um seine Roheiten zu ertragen; er würde viel besser daran tun, seinen Geschäften nachzugehen, als so im Wege herumzustehen. Da blieb Mouret ganz allein im Erdgeschoß, trauriger und untätiger als bisher. Er finde an nichts Geschmack, sagte er. Wenn er durch die Diele ging, hörte er oft im zweiten Stock die Stimme Abbé Faujas˜, der ganze Nachmittage am Bett des genesenden Serge zubrachte.
    »Wie geht es ihm heute, Herr Pfarrer?« fragte Mouret schüchtern den Pfarrer, wenn dieser in den Garten herunterkam.
    »Ziemlich gut; das dauert lange, er braucht viel Schonung.«
    Und er las seelenruhig sein Brevier, während der Vater ihm mit einer Baumschere in der Hand auf den Gartenwegen folgte und die Unterhaltung wieder anzuknüpfen suchte, um Genaueres über »den Kleinen« zu erfahren. Als die Genesung Fortschritte machte, fiel ihm auf, daß der Priester Serges Zimmer nicht mehr verließ. Während die Frauen nicht da waren, war er mehrmals hinaufgegangen und hatte ihn immer bei dem jungen Mann sitzend angetroffen, wie er sanft mit ihm plauderte, ihm kleine Dienste erwies, Zucker in seinen Kräutertee tat, seine Decken wieder hochzog, ihm Gegenstände reichte, nach denen er verlangte. Und im Haus war ein gedämpftes Geflüster, mit leiser Stimme zwischen Marthe und Rose gewechselte Worte, eine eigentümliche Andacht, die den zweiten Stock in einen Klosterwinkel verwandelte. Mouret spürte gleichsam einen Weihrauchgeruch in seinem Heim. Manchmal war es ihm beim Gestammel der Stimmen, als werde oben die Messe gelesen. Was machen sie bloß? dachte er. Der Kleine ist doch gerettet; sie geben ihm nicht die Letzte Ölung.
    Serge selbst beunruhigte ihn. Er sah in seinen weißen Leinentüchern einem Mädchen ähnlich. Seine Augen hatten sich geweitet; sein Lächeln war eine süße Verzückung der Lippen, die er selbst inmitten der grausamsten Leiden behielt. Mouret wagte nicht mehr, von Paris zu sprechen, so weiblich und keusch erschien ihm der liebe Kranke.
    Eines Nachmittags war er, das Geräusch seiner Schritte dämpfend, hinaufgegangen. Durch den Türspalt erblickte er Serge auf einem Sessel in der Sonne. Der junge Mann weinte mit zum Himmel gerichteten Augen, während seine Mutter, die vor ihm stand, ebenfalls schluchzte. Beim Geräusch der Tür wandten sich beide um, ohne ihre Tränen abzuwischen. Und sogleich sagte Serge mit der schwachen Stimme eines Genesenden:
    »Vater, ich habe Sie um eine Gnade zu bitten. Meine Mutter behauptet, Sie würden sich erzürnen, mir eine Erlaubnis verweigern, die mich überglücklich machen würde …. Ich möchte aufs Priesterseminar.« Er hatte mit einer Art fiebriger Frömmigkeit die Hände gefaltet.
    »Du! Du!« flüsterte Mouret. Und er sah Marthe an, die den Kopf abwandte. Er fügte nichts hinzu, ging ans Fenster, kam zurück und setzte sich, wie erschlagen von dem Hieb, mechanisch am Fußende des Bettes nieder.
    »Vater«, begann Serge nach langem Schweigen wieder, »dem Tode so nahe, habe ich Gott gesehen; ich habe gelobt, ihm zu gehören. Ich versichere Ihnen, daß darin meine ganze Freude liegt. Glauben Sie mir, machen Sie mich nicht untröstlich.«
    Mouret, der mit düsterem Gesicht zu Boden blickte, sprach noch immer kein Wort. Er machte eine Gebärde äußerster Entmutigung und flüsterte:
    »Wenn ich den geringsten Mut hätte, würde ich zwei Hemden in ein Taschentuch wickeln und auf und davon gehen.« Dann erhob er sich, trommelte mit den Fingerspitzen gegen die Fensterscheiben. Als Serge ihn abermals anflehen wollte, sagte er lediglich: »Nein, nein, abgemacht. Werde Pfarrer, mein Junge.« Und er ging hinaus.
    Am nächsten Tag reiste er, ohne jemanden zu verständigen, nach Marseille, wo er acht Tage mit seinem Sohn Octave verbrachte. Aber er kam bekümmert, gealtert zurück. Octave gab ihm wenig Trost. Er hatte festgestellt, daß sein Sohn ein lustiges Leben führte, bis über die Ohren in Schulden steckte, Geliebte in seinen Schränken verbarg; übrigens kam von diesen Dingen nichts über seine Lippen. Er wurde völlig zum Stubenhocker, machte kein einziges jener guten Geschäfte mehr, keinen jener kurzentschlossenen Erntekäufe mehr, auf die er früher so stolz war. Rose bemerkte, daß er fast völliges Schweigen wahrte, daß er sogar vermied, Abbé Faujas zu grüßen.
    »Wissen Sie, daß Sie nicht gerade höflich sind?« sagte sie eines Tages dreist zu ihm. »Der Herr Pfarrer ging eben vorbei, und Sie haben ihm den Rücken zugekehrt … Wenn Sie das

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