Die Eroberung von Plassans - 4
gelegt habe, um sich für einen Fehler zu strafen, brauste er auf, sagte er ihr, daß allein der Beichtvater das Recht habe, Bußen aufzuerlegen. Er leitete sie sehr streng, drohte ihr, sie zu Abbé Bourrette zurückzuschicken, wenn sie sich nicht demütige.
»Es war nicht recht von mir, Sie anzunehmen«, wiederholte er oft, »ich will nur gehorsame Seelen haben.«
Sie war glücklich über diese Schläge. Die Eisenhand, die sie niederbeugte, die Hand, die sie am Rand jener fortwährenden Anbetung zurückhielt, auf deren Grund sie hätte ins Nichts versinken wollen, peitschte sie mit einer unaufhörlich wiederauflebenden Begierde. Sie blieb Neubekehrte, sie stieg nur nach und nach in die Liebe hinab, wurde jäh aufgehalten, erriet andere Tiefen, empfand das Entzücken dieses langsamen Wanderns zu Freuden, die sie nicht kannte. Die große Ruhe, die sie zuerst in der Kirche genossen hatte, jenes Vergessen der Außenwelt und ihrer selbst verwandelte sich in einen bewußt herbeigeführten Sinnengenuß, in ein Glück, das sie heraufbeschwor, das sie faßte. Es war das Glück, nach dem sie seit ihrer Jugend unbestimmt begehrt hatte und das sie mit vierzig Jahren endlich fand; ein Glück, das ihr genügte, das sie mit ihren schönen, toten Jahren erfüllte, das sie als Ichmenschen leben ließ, mit allen neuen Eindrücken beschäftigt, die gleich Liebkosungen in ihr erwachten.
»Seien Sie gütig«, flüsterte sie Abbé Faujas zu, »seien Sie gütig, denn ich brauche Güte.«
Und wenn er gütig war, hätte sie ihm auf Knien danken mögen. Er zeigte sich dann geschmeidig, sprach väterlich mit ihr, setzte ihr auseinander, daß sie eine zu lebhafte Phantasie habe. Gott liebe es nicht, sagte er, daß man ihn so mit unüberlegten Streichen anbete. Sie lächelte, sie wurde wieder schön und jung und errötend. Sie versprach, folgsam zu sein. Dann erhob sich in irgendeinem finsteren Winkel ihre Seele zu Gott und ließ sie zerschmettert auf den Steinplatten zurück; sie kniete nicht mehr, sie rutschte, fast auf der Erde sitzend, glühende Worte stammelnd; und wenn die Worte erstarben, setzte sie ihr Gebet mit einem Aufschwung ihres ganzen Wesens fort, mit einem Herbeirufen jenes göttlichen Kusses, der über ihr Haar dahinstrich, ohne es je zu berühren.
Zu Hause wurde Marthe streitsüchtig. Bis dahin hatte sie sich gleichgültig, überdrüssig dahingeschleppt, war glücklich, wenn ihr Mann sie in Ruhe ließ; aber seit er seine Tage im Hause verbrachte, sein stichelndes Geschwätz verloren hatte, mager und gelb wurde, riß ihr die Geduld.
»Immer kommt er uns in die Quere«, sagte sie zu der Köchin.
»Wahrlich! Das macht er aus Bosheit«, antwortete diese. »Im Grunde ist er kein guter Mensch. Ich merke das nicht erst seit heute. Mit der duckmäuserischen Miene, die er aufsetzt, wo er doch so gerne redet; glauben Sie nicht auch, daß er Theater spielt, um uns zum Mitleid zu bewegen? Er möchte vor Bockigkeit aus der Haut fahren, aber er hält stand, damit man ihn bedauert und ihm seinen Willen laßt. Ich sage Ihnen, Madame, Sie haben gehörig recht, sich mit diesem Getue nicht aufzuhalten.«
Mouret hatte die beiden Frauen durch das Geld in der Hand. Er wollte sich nicht herumstreiten, aus Angst, sein Leben noch mehr zu verdüstern. Wenn er nicht mehr schimpfte, sich nicht mehr mit lauter Kleinigkeiten abgab, nicht mehr mit den Füßen aufstampfte, so machte er sich doch noch Gedanken über die Traurigkeit, die ihn befiehl, wenn er Marthe oder Rose ein Hundertsousstück verweigerte. Rose gab er monatlich hundert Francs für Lebensmittel; Wein, Öl, Eingemachtes waren im Haus. Aber die Köchin mußte am Monatsende trotzdem die Unannehmlichkeit in Kauf nehmen, von ihrem Geld dazuzulegen. Was Marthe anbelangte, so besaß sie nichts; er ließ sie völlig ohne einen Sou. Sie wurde dadurch gezwungen, sich mit Rose ins Einvernehmen zu setzen, damit diese sich bemühte, von den monatlichen hundert Francs zehn Francs einzusparen. Oft hatte sie keine Schuhe anzuziehen. Sie war genötigt, zu ihrer Mutter zu gehen, um sich von ihr Geld für ein Kleid oder einen Hut zu borgen.
»Aber Mouret wird ja verrückt«, rief Frau Rougon. »Du kannst doch nicht nackt gehen. Ich werde mit ihm sprechen.«
»Ich bitte Sie inständig, Mutter, unternehmen Sie deswegen nichts«, erwiderte sie. »Er kann Sie nicht ausstehen. Er wurde mich noch schlechter behandeln, wenn er wüßte, daß ich Ihnen diese Sachen erzähle.« Sie weinte, sie setzte hinzu:
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