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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sie drängte. Eines Tages sprach sie endlich von zwanzigtausend Francs. Marthe war zu Eis erstarrt. Niemals würde sie zwanzigtausend Francs auftreiben. Sie starrte vor sich hin und dachte, daß sie Mourets Tod abwarten müßte, um über eine solche Summe zu verfügen.
    »Ich meine zwanzigtausend im großen und ganzen«, beeilte sich Olympe, die Marthes ernstes Aussehen beunruhigte, hinzuzusetzen, »aber wir wären sehr froh, wenn wir sie im Laufe von zehn Jahren in kleinen Raten abzahlen könnten. Die Gläubiger würden so lange warten, wie man will, wenn sie nur wüßten, sie würden regelmäßig was bekommen … Es ist sehr ärgerlich, daß wir niemanden finden, der Vertrauen zu uns hat und uns das bißchen vorschießt, was erforderlich ist.«
    Das war das übliche Thema ihrer Unterhaltung. Oft sprach Olympe auch von Abbé Faujas, den sie anzubeten schien. Sie erzählte Marthe vertrauliche Eigenarten des Priesters: er sei kitzlig; er könne nicht auf der linken Seite schlafen; er habe an der rechten Schulter ein Muttermal, das im Mai rot wie eine richtige Erdbeere werde. Marthe lächelte, wurde dieser Einzelheiten nie müde; sie stellte der jungen Frau Fragen über ihre Kindheit, über die Kindheit ihres Bruders. Wenn dann die Frage des Geldes wiederkehrte, war sie wie irre über ihre Machtlosigkeit; sie ließ sich hinreißen, sich bitter über Mouret zu beklagen, den Olympe, die kühn geworden war, in ihrer Gegenwart schließlich nur noch »den alten Knauser« nannte. Zuweilen waren die beiden Frauen noch beim Plaudern, wenn Trouche aus seinem Büro nach Hause kam; sie verstummten, wechselten das Gesprächsthema. Trouche wahrte eine würdige Haltung. Die Patronatsdamen des Marienwerkes waren sehr zufrieden mit ihm. Nie sah man ihn in einem Café der Stadt.
    Um Olympe zu helfen, die an manchen Tagen davon sprach, sich aus dem Fenster zu stürzen, drängte Marthe inzwischen Rose, den ganzen unnützen alten Kram, der in die Ecken geworfen war, zu einem Trödler zu bringen. Zuerst waren die beiden Frauen schüchtern; sie ließen nur die wackligen Stühle und Tische in Mourets Abwesenheit fortschaffen; dann wagten sie sich an wertvollere Gegenstände heran, verkauften Porzellan, Schmucksachen, alles, was verschwinden konnte, ohne daß eine zu große leere Stelle entstand. Sie waren auf einer verhängnisvollen abschüssigen Bahn; sie hätten am Ende die großen Möbelstücke weggebracht und nur die vier kahlen Wände übriggelassen, wenn Mouret Rose eines Tages nicht als Diebin beschimpft und ihr mit dem Polizeikommissar gedroht hätte.
    »Ich eine Diebin! Herr Mouret!« hatte sie ausgerufen. »Geben Sie gut acht, was Sie sagen! – Weil Sie mich, gesehen haben, wie ich einen Ring von Madame verkaufte. Er gehörte mir, dieser Ring; Madame hatte ihn mir geschenkt. Madame ist nicht so knauserig wie Sie … Schämen Sie sich nicht, Ihre arme Frau ohne einen Sou zu lassen! Sie hat keine Schuhe anzuziehen. Neulich habe ich die Milchfrau bezahlt … Na schön! Jawohl, ich habe ihren Ring verkauft. Na und? Gehört der Ring denn nicht Ihrer Frau? Sie kann ihn wohl zu Geld machen, da Sie ihr ja alles abschlagen … Ich würde das Haus verkaufen, verstehen Sie? Das ganze Haus. Das macht mir zuviel Kummer, sie nackt wie eine Kirchenmaus herumlaufen zu sehen.«
    Mouret paßte nun zu jeder Tagesstunde auf; er verschloß die Schränke und nahm die Schlüssel an sich. Wenn Rose aus dem Haus ging, betrachtete er mit mißtrauischer Miene ihre Hände; er befühlte ihre Taschen, wenn er unter ihrem Rock irgendeine verdächtige Aufbauschung zu bemerken glaubte. Bei dem Trödler kaufte er bestimmte Dinge zurück, die er an ihren Platz stellte, sie abwischte, in Marthes Gegenwart mit geziertem Getue sorgsam behandelte, um sie an das zu erinnern, was er »Roses Diebstähle« nannte. Nie zog er sie unmittelbar in diese Angelegenheiten hinein. Vor allen Dingen quälte er sie mit einer geschliffenen Kristallkaraffe, die die Köchin für zwanzig Sous verkauft hatte. Rose, die behauptet hatte, sie habe sie zerschlagen, mußte sie ihm bei jeder Mahlzeit auf den Tisch bringen. Eines Morgens ließ sie sie, aufs höchste erbittert, beim Frühstück vor ihm fallen.
    »Jetzt, Herr Mouret, ist sie richtig zerschlagen, nicht wahr?« sagte sie und lachte ihm ins Gesicht. Und als er sie hinausjagte, meinte sie: »Versuchen Sie es doch! – Seit fünfundzwanzig Jahren bin ich bei Ihnen in Diensten; Ihre Frau würde mit mir fortgehen.«
    Zum Äußersten

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