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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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»Ich habe ihn lange verteidigt, aber heute habe ich nicht mehr die Kraft zu schweigen … Sie erinnern sich, als er nicht haben wollte, daß ich auch nur einen Fuß auf die Straße setzte. Er sperrte mich ein, er gebrauchte mich wie einen Gegenstand. Wenn er sich jetzt so streng zeigt, so deshalb, weil er wohl einsieht, daß ich ihm entglitten bin und nie mehr einwilligen werde, sein Dienstmädchen zu sein. Er ist ein Mensch ohne Religion, ein Egoist, ein schlechter Kerl.«
    »Er schlägt dich doch wenigstens nicht?«
    »Nein, aber das kommt noch. Er ist erst dabei, mir alles abzuschlagen. Seit fünf Jahren habe ich keine Hemden gekauft. Gestern habe ich ihm die gezeigt, die ich besitze; sie sind zerschlissen und so voller Flicken, daß ich mich schäme, sie zu tragen. Er hat sie angesehen, sie befühlt und gesagt, daß sie bis zum nächsten Jahr vollkommen gehen wurden … Ich habe nicht einen Centime für mich; wegen eines Zwanzigsousstücks muß ich weinen. Neulich habe ich mir von Rose zwei Francs leihen müssen, um Garn zu kaufen. Ich habe meine Handschuhe, die an allen Seiten aufplatzen, wieder zusammengenäht.« Und sie erzählte zwanzig andere Einzelheiten: die Spitzen, die sie sich mit Pechfaden selber auf ihre Halbstiefel nähe; die Bänder, die sie in Tee wasche, um ihre Hüte aufzufrischen; die Tinte, die sie auf die durchgescheuerten Falten ihres einzigen Seidenkleides streiche, um zu verbergen, wie zerschlissen es war.
    Frau Rougon wurde zu Mitleid gerührt und ermutigte sie zur Auflehnung. Mouret sei ein Ungeheuer. Er treibe den Geiz so weit, sagte Rose, daß er die Birnen auf dem Dachboden und die Zuckerstücke in den Schränken zähle, auf das Eingemachte aufpasse und selbst Brotkrusten vom Vortag esse.
    Marthe litt besonders darunter, daß sie bei der Kollekte in SaintSaturnin nichts geben konnte; sie versteckte Zehnsousmünzen in Papierstückchen, die sie sehr sorgfältig für das sonntägliche Hochamt aufbewahrte. Wenn die Patronatsdamen des Marienwerkes der Kathedrale jetzt irgendein Geschenk anboten, eine Monstranz, ein silbernes Kreuz, ein Banner, war sie ganz beschämt; sie wich ihnen aus, tat so, als kenne sie ihre Absicht nicht. Die Damen beklagten sie sehr. Sie hätte ihren Mann bestohlen, wenn sie die Schlüssel für den Schreibtisch gefunden hätte, so sehr quälte sie das Bedürfnis, diese Kirche zu schmücken, die sie liebte. Wenn Abbé Faujas einen Kelch benutzte, den Frau de Condamin geschenkt hatte, ergriff sie die Eifersucht einer betrogenen Frau bis ins Herz, während sie an den Tagen, an denen er die Messe auf dem Altartuch las, das sie gestickt hatte, eine tiefe Freude empfand, mit Schauern betete, als läge etwas von ihr selbst unter den ausgebreiteten Händen des Priesters. Sie hätte am liebsten gewollt, daß eine ganze Kapelle ihr gehörte; sie träumte davon, dort ein Vermögen hineinzustecken, sich darin einzuschließen, Gott bei sich zu empfangen, für sich allein.
    Rose, die ihre vertraulichen Mitteilungen entgegennahm, zerbrach sich den Kopf, um ihr Geld zu verschaffen. Dieses Jahr ließ sie die schönsten Früchte aus dem Garten verschwinden und verkaufte sie; gleichfalls schaffte sie einen Haufen alter Möbel vom Dachboden fort, so daß sie schließlich einen Betrag von dreihundert Francs zusammenbekam, den sie Marthe triumphierend aushändigte. Marthe küßte die alte Köchin.
    »Ah, wie gut du bist!« sagte sie und duzte sie dabei. »Bist du wenigstens sicher, daß er nichts gesehen hat? – Neulich habe ich mir in der Rue des Orfèvres ganz allerliebste kleine Meßkännchen aus ziseliertem Silber angesehen; sie kosten zweihundert Francs … Du tust mir doch einen Gefallen, nicht wahr? Ich will sie nicht selber kaufen, weil man sehen könnte, wie ich hingehe. Sag deiner Schwester, sie möchte sie holen; sie soll sie nachts herbringen und dir durch das Fenster deiner Küche reichen.«
    Dieser Kauf der Meßkännchen war für sie eine richtige verbotene Intrige, bei der sie lebhaften Genuß auskostete. Sie bewahrte sie drei Tage lang, zwischen Wäschebündel versteckt, hinten in einem Schrank auf; und als sie sie in der Sakristei von SaintSaturnin Abbé Faujas übergab, zitterte und stammelte sie. Er schalt freundschaftlich mit ihr. Er liebte keine Geschenke; von Geld sprach er mit der Geringschätzung eines starken Mannes, der nur das Bedürfnis nach Macht und Herrschaft hat. Während seiner beiden ersten Elendsjahre, selbst an den Tagen, an denen seine Mutter und er

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