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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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tief zerknirscht, daß sie sich bei jedem neuen Beichtkind, das Abbé Faujas abfertigte, übersehen ließ. Der Abbé wartete eine Minute, wurde ungeduldig, pochte mit kleinen, trockenen Schlägen gegen das Holz des Beichtstuhls. Wenn dann eine der Frauen, die dort waren, sah, daß Marthe sich nicht rührte, entschloß sie sich, ihren Platz einzunehmen. Die Kapelle leerte sich. Marthe verharrte reglos und vor Wonne vergangen.
    Die tat es gehörig gepackt! sagte sich die Paloque. Es ist unanständig, sich so in einer Kirche zur Schau zu stellen … Ah! Da ist ja Madame de Condamin.
    Tatsächlich kam Frau de Condamin herein. Sie blieb einen Augenblick vor dem Weihwasserbecken stehen, zog ihren Handschuh aus und bekreuzigte sich mit einer hübschen Handbewegung. Ihr Seidenkleid rauschte in dem zwischen den Stühlen frei gelassenen schmalen Gang. Als sie niederkniete, erfüllte sie das hohe Gewölbe mit dem Rascheln ihrer Röcke. Sie hatte ihre leutselige Miene aufgesetzt, sie lächelte der Finsternis der Kirche zu. Bald blieben nur noch sie und Marthe übrig. Der Abbé wurde böse, pochte stärker gegen das Holz des Beichtstuhls.
    »Madame, Sie sind an der Reihe, ich bin die letzte«, flüsterte Frau de Condamin entgegenkommenderweise und neigte sich zu Marthe herab, die sie nicht erkannt hatte.
    Diese wandte das Gesicht ab, ein vor Nervosität schmal gewordenes, vor außerordentlicher Gemütsbewegung bleiches Gesicht; sie schien nicht zu verstehen. Mit zuckenden Lidern erwachte sie gleichsam aus einem verzückten Schlummer.
    »Na, meine Damen, na?« sagte der Abbé, der die Tür des Beichtstuhls einen Spalt öffnete.
    Frau de Condamin erhob sich lächelnd und gehorchte der Aufforderung des Priesters. Aber Marthe ging, nachdem sie sie erkannt hatte, urplötzlich in die Kapelle; dann fiel sie wiederum auf die Knie, verharrte in drei Schritt Entfernung.
    Die Paloque amüsierte sich großartig; sie hoffte, die beiden Frauen würden sich in die Haare geraten. Marthe mußte alles verstehen, denn Frau de Condamin hatte eine flötenhelle Stimme; sie plapperte ihre Sünden herunter, sie belebte den Beichtstuhl mit köstlichem Klatsch. Einmal lachte sie sogar ein leises ersticktes Lachen, bei dem Marthes leidendes Gesicht hochsah. Übrigens war sie schnell fertig. Sie ging davon, da kam sie zurück; immerzu plaudernd, beugte sie sich nieder, kniete aber nicht.
    Diese große Teufelin macht sich über Madame Mouret und den Abbé lustig, dachte die Richtersfrau; sie ist zu durchtrieben, um ihr Leben zu zerrütten.
    Endlich zog sich Frau de Condamin zurück. Marthe blickte ihr nach, schien darauf zu warten, bis sie nicht mehr da war. Dann stützte sie sich auf den Beichtstuhl, ließ sich gehen, stieß mit ihren Knien heftig gegen das Holz. Frau Paloque war näher gekommen und machte einen langen Hals; aber sie sah nur das dunkle Kleid der Beichtenden, das hervorquoll und sich ausbreitete. Fast eine halbe Stunde lang rührte sich nichts. Einen Augenblick glaubte sie in der fröstelnden Stille, die zuweilen von einem trockenen Knarren des Beichtstuhls unterbrochen wurde, ersticktes Schluchzen zu erhaschen. Dieses Spionieren langweilte sie schließlich; sie blieb nur da, um sich Marthe noch beim Fortgehen genau anzusehen.
    Abbé Faujas verließ den Beichtstuhl als erster und schloß mit zorniger Hand die Tür. Reglos gekrümmt verweilte Frau Mouret noch lange in dem schmalen Kasten. Als sie sich mit heruntergeschlagenem Gesichtsschleier zurückzog, wirkte sie gebrochen. Sie vergaß, sich zu bekreuzigen.
    »Es gibt Zwistigkeiten, der Abbé ist nicht nett«, murmelte Frau Paloque, die ihr bis auf den Place de l˜Archevêché folgte. Sie blieb stehen, zögerte einen Augenblick; nachdem sie sich vergewissert hatte, daß ihr niemand nachspähte, schlich sie heimlich in das Haus, das Abbé Fenil an einer der Ecken des Platzes bewohnte.
    Marthes Leben spielte sich nun in der Kirche Saint Saturnin ab. Sie erfüllte ihre religiösen Pflichten mit großer Inbrunst. Selbst Abbé Faujas schalt oft mit ihr wegen der Leidenschaft, die sie in ihre Andachtsübungen legte. Er erlaubte ihr nur einmal im Monat zu kommunizieren, regelte die Stunden ihrer frommen Übungen, verlangte von ihr, daß sie sich nicht abschloß in dem Empfang der Sakramente. Sie hatte ihn lange angefleht, ehe er ihr bewilligte, jeden Morgen einer stillen Messe beizuwohnen. Als sie ihm eines Tages erzählte, daß sie sich eine Stunde lang auf die eisigen Steinfliesen ihres Zimmers

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